Köln, 15.08.2019

Auf der Suche nach Wahrheit in der Welt der Nachrichten

Themenbereich: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Land: Deutschland
Kategorie: Projekt

Die Echtheit von Bildern und Nachrichten aus den sozialen Netzwerken zu prüfen und zu verifizieren: Das ist die Aufgabe der Mitglieder des „User-Generated-Content-Verification-Teams“ der RTL Group. Den Bericht über ihre Arbeit aus dem neuen CR-Magazin von Bertelsmann können Sie nun auch hier lesen.

Sie suchen akribisch nach Hinweisen, um zu prüfen, ob Bilder und Nachrichten echt und wahr sind. Was treibt Producer, Redakteure und Reporter im „User-Generated- Content-Verification-Team“ der RTL Group dazu an? Darüber berichtet das neue Corporate-Responsibility-Magazin von Bertelsmann,  das vor Kurzem erschienen ist. Diesen Bericht können Sie nun auch hier lesen.

Der 22. Juli 2016 in München: Im Olympia-Einkaufszentrum läuft ein 18-jähriger Schüler Amok, tötet neun Menschen und verletzt fünf weitere schwer. Schnell kursieren im Internet Bilder und Videos, die angeblich die Opfer und den mutmaßlichen Attentäter zeigen. Ein Nachrichtenredakteur von RTL Television prüft den von Usern generierten Content und kontrolliert deren Primärquellen. Das Resultat: Zwei Drittel der Bilder zeigen gar nicht das Münchner Einkaufszentrum, sondern Shopping Malls in England oder Südafrika. Und der erste Schnappschuss vom vermeintlichen Attentäter? Der zeigt den Youtube-Comedian Sam Hyde, aber nicht den Münchner Täter.

Wahre Fakten schaffen Vertrauen

Dieser Faktencheck eines Mitarbeiters aus eigenem Antrieb ist die Geburtsstunde des „User-Generated-Content- Verification-Teams“ („Verification-Team“). Zunächst sind es zehn Männer und Frauen, die sich 2016 für die Idee begeistern, die Echtheit von Bildern und Nachrichten aus den sozialen Netzwerken zu prüfen und zu verifizieren. Heute besteht das virtuelle Team aus 75 freiwilligen Mitarbeitern aus dem gesamten Netzwerk der RTL Group. Hauptberuflich sind sie Producer, Redakteure, Netzreporter oder Mediendokumentare wie Sergej Maier, dem das Faktenchecken mit vielen digitalen Tools „einfach Spaß macht, weil man tief in ein Thema eintauchen kann“. Genau dies gefällt auch dem Producer Robert Clausen: „Man sucht immer wie ein Detektiv nach Fakten.“ Der Content Manager Juri Biekehör, der im New Yorker Büro der Mediengruppe RTL Deutschland arbeitet, nennt noch andere Gründe: „Ich habe mir neue Kompetenzen aufgebaut, neue Tools kennengelernt und dadurch neues Wissen gesammelt, das ist eine tolle Erfahrung.“

Seinen Kölner Kollegen Stephan Große treibt noch etwas anderes an: „Recherchieren ist mein Steckenpferd.“ Und Florian Gerick bringt auf den Punkt, was wohl alle im Team denken: „Es ist mein journalistischer Anspruch, wahr und ehrlich zu berichten. Nur so schafft man Vertrauen.“ Doch die Wahrheit wird in der digitalen Welt häufig leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Jeder kann heute mit seinem Smartphone Fotos oder Videos über das Internet verbreiten – und mit falschen Behauptungen die Öffentlichkeit in die Irre führen. Dafür gibt es Gründe: „Das Senden von emotionsgeladenen Behauptungen wird auf Facebook, Twitter & Co. heute so einfach gemacht, dass Zweifel an ihrer Echtheit zunächst gar nicht bestehen“, erzählt Andreas Greuel, der das „Verification-Team“ leitet. Die Folgen sind tägliche Desinformationen wie Falschmeldungen, Fehler oder Lügen – kurz: Fake News. Diesen Begriff mag Greuel, der hauptberuflich Fachgruppenleiter Verifizierung bei Infonetwork ist, aber nicht: „Wenn eine Behauptung nachweislich falsch ist, sollte man sie schon als das bezeichnen, was sie ist, nämlich eine Fälschung, eine Manipulation oder ein Irrtum.“

Keine Fehler sind die beste Werbung

Fakt ist: Die Zahl der Anfragen vonseiten der Redaktionen aus der gesamten RTL Group an das „Verification-Team“ steigt. Auch deshalb ist das Gruner + Jahr-Magazin „Stern“ als Kooperationspartner mit an Bord. Rund 25 Redakteure, vornehmlich aus dem Onlinebereich, unterstützen seit Sommer 2017 aktiv die Recherchen und helfen, die angefragten Inhalte gründlich und zuverlässig zu prüfen. Die gewonnenen Erkenntnisse gibt das Hamburger Medium dann an die Leser weiter. „Dass wir Rechercheverläufe und -ergebnisse transparent weitergeben, stößt durchweg auf positive Resonanz und festigt das Vertrauen in unsere tägliche Arbeit“, erzählt Moritz Dickentmann, SEO-Redakteur bei stern.de. „Bisher lagen wir mit unseren Einschätzungen immer richtig. Dass wir keine Fehler machen, ist für uns die beste Werbung“, sagt Greuel. Zwischen 500 und 600 Anfragen hat das Team in den vergangenen zweieinhalb Jahren bearbeitet. „Im Prinzip prüfen wir alles, was angefragt wird.“ Das kann ein Video sein, das angeblich thailändische Taucher zeigt, die Kinder aus einer Höhle retten. Tatsächlich sind es französische Taucher beim Training. Das können ein angebliches Bekennerschreiben, eine Bombenexplosion vor der amerikanischen Botschaft in Peking, aber auch aufgespritzte Lippen einer Prominenten sein.

Stellt beispielsweise die Redaktion von „Punkt 12“ eine Anfrage, wird diese per Mail an das komplette „Verification-Team“ weitergeleitet und von einem Mitglied bearbeitet, das zeitliche Kapazitäten hat oder sich besonders für das Thema interessiert. Beim ehemaligen Tennisreporter Florian Gerick ist das der Sport, beim Russisch sprechenden Sergej Maier sind es Meldungen aus Russland oder der Ukraine und beim New Yorker Mitarbeiter Juri Biekehör Breaking News aus den USA. „Wir benötigen in der Regel etwa zwei Stunden, um eine gestützte und verifizierte Einschätzung von Bildern, Videos oder Nachrichten abzugeben. Manchmal kann es jedoch länger dauern“, sagt Greuel, der das Team nicht nur leitet, sondern auch ausbildet.

Eigentlich kann jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter der RTL Group Mitglied im „Verification-Team“ werden. „Die wichtigste Voraussetzung ist eine große Neugierde“, beschreibt Greuel das Anforderungsprofil. „Außerdem sollte man ein gutes technisches Verständnis und ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen haben. Ebenso sollte man seine persönlichen Präferenzen in den Hintergrund schieben können.“ Warum der letzte Punkt so wichtig ist, erklärt Robert Clausen: „Wir glauben erst einmal gar nichts – ganz gleich, woher die Quelle stammt. Wir konzentrieren uns nur auf das, was wir auf den Bildern oder Videos sehen, und stellen alles infrage: vom Wetter und der Uhrzeit über den Schattenwurf und die Kleidung bis zu Gebäuden und Straßenschildern.“ Und dann startet die Rückwärtssuche nach den Primärquellen. Dafür werden alle im Internet verfügbaren Tools genutzt. „Meistens haben wir bei der Recherche bis zu 30 Tabs auf dem Monitor geöffnet“, erzählt Teamleiter Greuel, „und falls wir immer noch keine Antwort gefunden haben, rufen wir einen Experten an.“

Redaktionen schätzen den Mehrwert

Der Aufwand der Recherche ist hoch, und das hat seinen Grund: „Jeder im Team ist sich seiner großen Verantwortung bewusst, denn mit unseren Interpretationen, Einschätzungen und Recherchen beeinflussen wir Programminhalte und damit unsere Zuschauerinnen und Zuschauer“, erklärt Greuel. Vorproduzierte oder geplante Sendebeiträge können auch gestrichen werden, falls das Bildmaterial oder dessen Inhalte nicht verifiziert werden konnten. Aber gerade das wird von den Redaktionen geschätzt, „weil wir für sie quasi Stütze und Ersthelfer sind, wenn es darum geht, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten und Geschichten einschätzen zu können“. Die Arbeit des „Verification-Teams“ hat noch weitere Impulse ausgelöst: „Die Sensibilisierung gegenüber dem von Usern generierten Content in den sozialen Medien ist enorm gestiegen – besonders gegenüber sogenannten viralen Geschichten.“ Vielleicht hat deswegen das „Verification-Team“ auch einen so besonderen Stellenwert für die Solidarität der Redaktionen innerhalb der RTL Group. „Niemand möchte, dass Falschmeldungen gesendet werden. Falls das doch passieren sollte, haben nämlich nicht nur der Autor und die Redaktion ein Problem, sondern womöglich die gesamte Branche. Dessen sind sich alle im ‚Verification-Team‘ bewusst und leisten daher freiwillig ihren Beitrag, um das zu vermeiden.“ Das sei aber nur möglich, weil die Redaktionen den großen Mehrwert des Teams erkannt hätten, so Greuel. „Sie geben deswegen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den notwendigen Freiraum, in unserem Team mitarbeiten zu können. Sonst wäre das alles nicht möglich.“