RTL Group | Köln, 25.10.2016

Pressefreiheit

Fernsehjournalismus ist ein Jonglieren mit der Zeit. Entscheidungen über Inhalte fallen hier im Sekundentakt.
Nachrichtenchefin Renate Friedrich im Gespräch mit Reporter (und Ehemann) Carsten Lueb.
Reporterin Nadja Kriewald dreht weltweit, häufig unter erschwerten Bedingungen.
Elke Grohs stellt das "News Spezial" zum potenziellen Ferien-Terror zusammen.
Im Hauptschaltraum laufen alle Nachrichten-Fäden zusammen.

Themenbereich: Medien & Services
Kategorie: Projekt

In vielen Staaten der Welt ist der Kampf um die Pressefreiheit oftmals ein hartes Geschäft. Journalisten in Deutschland befinden sich demgegenüber in einer privilegierten Situation: Freiheit und Meinungsäußerung sind für sie grundsätzlich geschätzte und geschützte Werte. Und dennoch: Auch in Deutschland trifft der Journalismus täglich auf Widerstände. Welche das sind und wie die Kollegen damit umgehen, zeigt ein Besuch beim Kölner Nachrichtensender N-TV.

An einem Spätnachmittag sitzt N-TV-Chefredakteurin Sonja Schwetje am Schreibtisch ihres Kölner Büros, das große Fenster mit Blick auf Rhein und Dom. Der Fluss zieht draußen langsam und trübe von links nach rechts, Spaziergänger, Hunde und Kinderwagen verteilen sich entlang des Ufers. Sonja Schwetje aber schaut konzentriert auf den Monitor, die Maus flitzt hin und her. Sechs Herren in schwarzen Anzügen erscheinen vor ihrer Glastür.

In manch anderem Land wäre es vielleicht ein Moment, in dem das Herz in die Hose rutschen könnte. In China zum Beispiel, der Türkei, in Mexiko, Saudi-Arabien oder jenen vielen anderen Staaten weltweit, denen "Reporter ohne Grenzen" zuletzt schwere Verstöße gegen die Pressefreiheit vorwarf: Gefängnis, Entführungen, Folter ja sogar Mord sind Betriebsrisiken für Berufskollegen rund um den Globus.

Sonja Schwetje und der Freiheit ihrer Redaktion droht an diesem Nachmittag keine Gefahr. Sie hat Besuch bekommen, vom Kölner Domradio, einer Priestergruppe. Man trägt schwarzes Hemd mit weißem Kragen, lächelt und zeigt sich eine Stunde lang interessiert am Räderwerk des Nachrichtensenders, der zur Mediengruppe RTL Deutschland gehört. N-TV sendet 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Im Schnitt sind die Zuschauer männlich, in den besten Jahren und beruflich erfolgreich.

Die Chefredakteurin trägt Jeans, Blazer, Turnschuhe. Beim Reden gestikuliert sie, als wollte sie den Worten, die sie ausspricht, Schwung mit auf den Weg geben. Für den "Tag der Pressefreiheit" habe sie einen Text geschrieben, erzählt sie, darin steht: "Man muss sich manchmal fast schämen, wie komfortabel es sich als Journalist in Deutschland leben lässt, wo Freiheit und Meinungsäußerung grundsätzlich geschätzte und geschützte Werte sind." Aber genau darin liege die Gefahr, sagt sie: "Wir dürfen nicht träge werden und nachlässig in unserer permanenten Wachsamkeit."

Permanente Wachsamkeit

Nur ein paar Schritte entfernt, gegenüber auf dem Flur, liegt das Büro von Nachrichtenchefin Renate Friedrich. Um 8.15 Uhr hat hier heute der Nachrichtentag mit der Frühkonferenz begonnen, auf rund 15 Quadratmetern mit fast ebenso vielen Teilnehmern, die meisten stehen. Die Konferenz verhandelt über die Frage, was die mehr als fünf Millionen Zuschauer an diesem Tag zu sehen bekommen.

Das Top-Thema des Tages stand bislang nicht auf dem Plan und erschien quasi über Nacht: Laut "Bild"-Zeitung planen islamistische Terroristen Anschläge auf europäische Touristenhochburgen. "Müssen wir machen", sagt das Berliner Studio durch das Konferenz-Telefon, "die Zeitung hat in der Regel sehr gute Informationen. Ich checke meine Quellen."

Die Konferenzteilnehmer wollen die Terroristen-Geschichte als Top-Thema für das Mittags-Spezial aufarbeiten. Sonja Schwetje schlägt dagegen vor, mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Vaterschaftstests aufzumachen: Können Kinder vermeintliche Väter zu so einem Test zwingen? Nach einer Diskussion entscheidet man sich gemeinsam für das Thema Terror. "Ich habe gute Leute mit Erfahrung und Verantwortungsbewusstsein. Da muss ich nicht alles allein entscheiden", sagt die Chefredakteurin.

Freiheit und Verantwortung

 Das Prinzip von Freiheit und Verantwortung wird bei Bertelsmann auf allen Ebenen gelebt. Schon Reinhard Mohn, Bertelsmanns Nachkriegsgründer, sprach den Redaktionen des Medienkonzerns außerordentlichen Freiraum zu. Bei Bertelsmann gilt auch heute noch das eherne "Chefredakteursprinzip": Die Redaktionen entscheiden selbstständig – unabhängig von Geschäftsführern und wirtschaftlichen Besitzverhältnissen – welche Inhalte sie recherchieren und wie sie diese bewerten, produzieren und verbreiten.

"Das gilt bis zu den Reportern vor Ort, die wir anhalten, eine Meinung zu haben und sie professionell zu vertreten", sagt Sonja Schwetje: "Jeder hat diese Freiheit, spürt aber auch die Verantwortung, dabei journalistisch sauber zu arbeiten. Das lebt jeder von uns hier, jüngere oder neue Kollegen bekommen es sehr schnell mit."

Die Konferenz ist vorbei, das Team schwärmt aus, allen voran Chefin vom Dienst Elke Grohs. Sie hat die Verantwortung für das "News Spezial" zum potenziellen Tourismus-Terror, das ab 12.30 Uhr gesendet werden wird. Die aktuelle Nachrichtenlage soll in mehreren Zweieinhalb- Minütern und Gesprächen mit Studiogästen wie den Terror-Experten Michael Lüders und Michael Ortmann in vielen Facetten beleuchtet werden. "Sachlich bleiben, keine Panik schüren!", so lautet der Auftrag von Renate Friedrich.

Die Arbeit kommt ins Rollen: Reporterteams werden zu Straßenbefragungen losgeschickt, im Berliner Büro laufen die Drähte heiß, um Hintergrundinfos zur Bedrohungslage zu beschaffen. Gleichzeitig wird das Archiv nach passenden Kurzbeiträgen durchforstet, die aktualisiert werden können.

30 Minuten Sendung in weniger als vier Stunden auf die Beine zu stellen, das ist keine leichte Aufgabe. Aber Elke Grohs ist eine sehr erfahrene Fernsehfrau. Sie bezieht ihren Schreibtisch im großen Produktionsraum, "Brücke" genannt, und beginnt zu telefonieren.

Jonglieren mit der Zeit

Die Brücke heißt wohl so, weil ihr Herzstück der Kommandobrücke eines Schiffs ähnelt. Auf zahlreichen Monitoren sind die weltweiten Nachrichtenströme zu beobachten: die Angebote großer Nachrichtenagenturen, die Öffentlich- Rechtlichen, internationale Nachrichtensender, dazu der Blick aufs eigene Programm. Hinter Glas sitzt Moderatorin Isabelle Körner allein im großen, leeren und hellgrün angemalten digitalen Studio.

Auf der Brücke haben die Chefs vom Dienst (CvDs) das Kommando. Jochen Peutz ist heute zuständig für die Wirtschaftsthemen der tagsüber alle 30 Minuten neu gesendeten News. Wirtschaft nimmt etwa die Hälfte der Sendung in Anspruch. Die Kollegin neben Peutz, Andrea Tönnißen, ist für den Rest des Weltgeschehens zuständig, aufgeteilt in Politik, Buntes und Sport.

Die CvDs "fahren" ihre Sendung, "es ist ein Jonglieren mit der Zeit", sagt Peutz, und man hört leisen Stolz in seiner Stimme. Ständig verschiebe sich das Gefüge der Sendung, Moderationen würden länger, dann wieder kürzer, neue Beiträge seien fertig, alte, nicht länger aktuelle oder weniger wichtige müssten weichen: "Die Überflutung in Texas fliegt raus!", ruft der CvD und scrollt sich durch die Einträge seiner Sendeplanung.

Der Tag läuft inzwischen mit aller Macht an: Das Urteil zum Vaterschaftstest ist da, in Freital hat die GSG 9 Wohnungen einer angeblichen Nazi- Zelle gestürmt. In Dresden läuft der Prozess gegen den Pegida-Organisator Lutz Bachmann. Dort steht Reporter Benjamin Geese mit dem Mikro in der Hand, später soll er noch nach Freital, O-Töne einholen.

Das ist nicht immer ein problemloser Job. Gerade im Zusammenhang mit Pegida und Co. erfahren deutsche Journalisten starke Widerstände. Der "Lügenpresse"-Vorwurf macht die Runde: Journalisten würden ihre Freiheit nutzen, um Nachrichten so zu manipulieren, dass sie den Regierenden dienten. Die Zahl der Anfeindungen, Drohungen und Beleidigungen gegen Journalisten ist in Deutschland sprunghaft gestiegen: Mindestens 39 gewalttätige Übergriffe zählte "Reporter ohne Grenzen" 2015. Zu Gewalt kommt es meist auf Demonstrationen rechter Gruppen – oder auf den linken Gegendemonstrationen.

Immer mehr Anfeindungen

"Da gibt’s auch mal eins auf die Nuss für uns Journalisten", sagt Reporter Carsten Lueb, der am frühen Mittag kurz seine Frau im Sender besucht, Nachrichtenchefin Renate Friedrich. Und fügt hinzu: "Ich bin 1,94 Meter groß, mit 100 Kilo Kampfgewicht. Mich greift so schnell keiner an." Andere, weniger massive Behinderungen der freien Berichterstattung erfährt der Reporter aber tagtäglich, wenn er erst gar nicht zu den Orten gelangt, über die er berichten will: "Der Deutsche sperrt ab, das ist eine Manie." In keiner anderen westlichen Demokratie sei das so sehr verbreitet: "Wenn etwas passiert, will ich dahin und sehen, was los ist. Ich sage der Polizei am rot-weißen Flatterband: Ich bin die freie deutsche Presse!" Meist helfe dann die professionelle Beharrlichkeit.

Später erreicht eine weitere zum Thema passende Nachricht über den News-Ticker der Deutschen Presseagentur die Redaktion: Der ARD-Auslandskorrespondent Volker Schwenck wurde an der Einreise in die Türkei gehindert. Die Lage ist unklar, für Sonja Schwetje aber ein Anlass, an ihre Sorgen um Auslandsreporterin Nadja Kriewald erinnert zu werden: "Jedes Mal, wenn Nadja nach Istanbul fliegt, habe ich ein mulmiges Gefühl."

Die Reporterin ist heute aus der Türkei zurückgekehrt und stellt gerade einen Beitrag für den "Auslandsreport" fertig. Betexten, einsprechen, schneiden. Sie hat einen längeren Beitrag über die Lage von Journalisten in der Türkei produziert – und die Lage ist bedrückend schlecht: "90 Prozent der Medien sind heute regierungstreu, wer kritisch berichtet, dem droht eine lange Gefängnisstrafe. Im Vergleich dazu ist Deutschland ein Paradies."

Nadja Kriewald erfährt regelmäßig Behinderungen ihrer Arbeit in der Türkei: "Wir werden von Sicherheitsbehörden gestoppt, Polizisten halten Hände vor die Kamera. Wenn ich stoisch weitermache, lassen sie mich irgendwann in Ruhe." Auch sie erwartet bei jeder Einreise aufs Neue, dass sie Probleme bekommt: "Der Kameramann und ich, wir checken getrennt ein. Er hat eine Liste von Telefonnummern, um Redaktion und meine Familie benachrichtigen zu können, sollte ich festgehalten werden. Doch was droht mir schon – die Ausweisung, ein paar Tage Haft. Das ist nichts im Vergleich zu dem, was türkische Kollegen fürchten müssen." Die Reporterin muss zurück an den Schnittplatz, am Abend muss sie den Flieger nach Berlin erreichen: "Mein Kind will mich ja nicht nur im Fernsehen sehen!"

Deutschland auf Platz 16

Am kommenden Morgen um sieben Uhr ist eine der ersten Meldungen, die über den Ticker gehen, das Pressefreiheits-Ranking von "Reporter ohne Grenzen". Deutschland steht, Paradies hin oder her, nicht in den Top Ten: "Deutschland liegt in der Rangliste der Pressefreiheit in diesem Jahr auf Platz 16 (2015: Platz 12) und hält sich damit im Mittelfeld der EU-Staaten", heißt es in der Pressemitteilung. Auf den Plätzen eins bis fünf finden sich Finnland, die Niederlande, Norwegen, Dänemark und Neuseeland. Für die schlechtere deutsche Platzierung sind unter anderem zahlreiche Übergriffe auf Journalisten bei Pegida-Demonstrationen verantwortlich. Außerdem, so "Reporter ohne Grenzen", gerieten Journalisten und ihre Informanten in Deutschland immer häufiger "ins Visier von Justiz und Nachrichtendiensten".

"Es braucht in Deutschland keine heroischen Taten, um für die Pressefreiheit zu kämpfen, zum Glück! Aber gerade deshalb dürfen wir nie lockerlassen", sagt Sonja Schwetje. Denn der Kampf um die Pressefreiheit gehöre auch 2016 zum journalistischen Alltag: "Wenn erfahrene Pressesprecher den jungen Volontär für dumm verkaufen wollen. Wenn Behörden wissentlich oder unwissentlich ihre Auskunftspflicht missachten. Wenn Redakteure Stunde um Stunde hingehalten werden, weil die Ansprechpartner genau wissen, wann Redaktionsschluss ist. Wenn Interviewer auch nach hartnäckigstem Bohren mit leeren Phrasen abgespeist werden. Wenn Reporter bei Demonstrationen zur Zielscheibe von Aggression werden."

Damit professionell umzugehen, erfordere "viel Rückgrat und auch Rückendeckung", sagt die Chefredakteurin und baut dabei ganz auf den Nachwuchs: "In den Bewerbungsgesprächen sind die spannendsten Momente, wenn den angehenden Volontären klar wird, dass sie selbst als Berufsanfänger einen Unterschied machen können. Sie müssen nicht ihr Leben aufs Spiel setzen. Aber sie sollten beharrlich, skeptisch und mutig sein. Denn Freiheit bringt die untrennbare Verantwortung mit sich, sie auch zu nutzen."

Mehr zum Thema Pressefreiheit sowie zu weiteren Corporate Responsibility-Themen lesen Sie im Magazin "24/7 Responsibility"  .