Gruner + Jahr | Hamburg, 28.04.2017

Den Journalismus strahlen lassen

Gratulation den Gewinnern des Nannen Preises 2017

Themenbereich: Medien & Services, Gesellschaft
Land: Deutschland
Kategorie: Preise & Auszeichnungen

Gestern Abend kamen auf Einladung des G+J-Magazins "Stern" rund 500 Gäste aus Medien, Kultur, Politik und Wirtschaft nach Hamburg, um die besten Beiträge im deutschsprachigen Journalismus aus den Bereichen Print, Digital und Fotografie zu feiern. Sechs herausragende Arbeiten wurden bei der Verleihung im Curio-Haus mit dem diesjährigen Nannen Preis  ausgezeichnet; einen Sonderpreis  erhielt die türkische Journalistin Banu Güven.

Wann immer sie frühmorgens den Aufzug in ihrem Haus hört, denkt Banu Güven: "Jetzt kommt die Polizei zu mir." Und dennoch wird die Journalistin bald wieder in den Flieger Richtung Türkei steigen und ihrer Arbeit nachgehen. Wird mit Menschen sprechen, die die Mächtigen lieber nicht zu Wort kommen lassen möchten, und über Dinge berichten, die sie ins Gefängnis bringen können. "Die Regierung versucht uns Angst zu machen. Aber wenn wir aufhören, unseren Job zu machen, können wir nicht mehr atmen im Land", sagte Banu Güven bei der Verleihung des Nannen Preises 2017. Für ihren unerschrockenen Einsatz für die Pressefreiheit in der Türkei erhielt sie gestern Abend einen Sonderpreis der "Stern"-Chefredaktion.

"Banu Güven gehört zu den letzten Stimmen in der Türkei, die noch nicht verstummt sind. Wir möchten sie stellvertretend für alle unsere türkischen Kolleginnen und Kollegen auszeichnen. Ihnen, liebe Frau Güven, und Ihren standhaften Mitstreitern gilt unser tiefster Respekt", sagte "Stern"-Chefredakteur Christian Krug in seiner Laudatio und appellierte an die Bundesregierung: "Setzen Sie sich dafür ein, dass alle Journalisten in der Türkei freikommen." Zuvor hatte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel an "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel erinnert, der seit zwei Monaten in türkischer Haft sitzt: "Wir wollen, dass er freikommt." Die Freiheit der Presse sei kein Accessoire, das man sich leisten könne, wenn die Zeiten gut seien, so Gabriel: "Sie gehört vielmehr zur DNA einer jeden demokratischen Gesellschaft."

Neben dem Sonderpreis wurde der Nannen Preis in sechs Kategorien vergeben. Wer die renommierte Auszeichnung erhält, hatte die Hauptjury erst am Vorabend der Verleihung entschieden. Sieger in der traditionsreichen Kategorie "Beste Reportage" – und damit Gewinner des Egon Erwin Kisch-Preises – wurden Amrai Coen und Tanja Stelzer für ihre Arbeit "Brüssel, 22. März 2016". Ihr Beitrag aus der "Zeit" erzählt, wie der Terror unsere Gesellschaft verändert. Dazu sprachen sie mit Opfern und Angehörigen des Anschlags in der belgischen Hauptstadt. "Die Menschen in diesem Text haben Fürchterliches erlebt. Wir lernen sie und ihre intimsten Gefühle kennen – und fühlen uns trotzdem nicht als Voyeure. Vor allem dank ihres Einfühlungsvermögens ist Amrai Coen und Tanja Stelzer eine einzigartige Reportage gelungen", verlas "Spiegel"-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer die Jurybegründung. Der Egon Erwin Kisch-Preis wurde in diesem Jahr zum 40. Mal verliehen; ein Großteil der bisherigen Preisträger war aus diesem Anlass zugegen. G+J-CEO Julia Jäkel hieß sie herzlich willkommen; einen ganzen Tag habe sie mit dem Lesen der ausgezeichneten Beiträge aus vier Jahrzehnten verbracht: "Ich habe gelernt, was eine richtig gute Reportage kann. Sie packt dich am Kragen und schleift dich raus. An Orte, an denen du noch nicht warst. Zu Menschen, die du noch nicht kennst. Sie bringt dich auf Gedanken, die du noch nicht gehabt hast. Gute Reportagen sind die Ausgänge aus der Filter-Bubble."

In der Kategorie "Investigative Leistung" zeichnete die Jury ein Team der "Süddeutschen Zeitung" aus: Bastian Obermayer, Frederik Obermaier, Vanessa Wormer, Katrin Langhans, Mauritius Much und Hannes Munzinger erhielten den Nannen Preis für ihren Beitrag "Panama Papers". "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo überreichte ihnen die Trophäe für ihr "Meisterstück investigativer Aufklärung". "Die Autoren haben viel riskiert. Denn die Menschen, deren Finanztricks sie enthüllten, hätten die Mittel, den Verlag mit einer Prozesslawine zu ruinieren. Doch die Recherchen zu den ‚Panama Papers‘ waren sauber und lückenlos und von globaler Relevanz", erklärte die Jury.

In der Kategorie "Dokumentation" gewann Nicola Meier mit ihrem Beitrag "Wer rettet Klara?", erschienen in der "Zeit". Darin erzählt sie die Geschichte eines vierjährigen todkranken Mädchens. Ein noch nicht zugelassenes Medikament könnte ihr helfen; doch der Pharmakonzern gibt es nicht frei. Mathias Müller von Blumencron, Digital-Chefredakteur der "FAZ", sagte im Namen der Jury: "Zu gern würde der Leser Partei ergreifen. Doch die Autorin verwehrt es uns. Präzise und unvoreingenommen macht sie uns mit allen Widersprüchen des Themas vertraut."

Mit dem Nannen Preis 2017 für das beste "Web-Projekt" würdigte die Jury die Arbeit "sachor jetzt!" des aktuellen Jahrgangs der Axel-Springer-Akademie. Adrian Arab, Katja Belousova, Lukas Dombrowski, Henry Donovan, Julian Erbersdobler, Johanna Gerber, Sebastian Gubernator, Abdullah Khan, Gerrit-Freya Klebe, Larissa Königs, Alina Leimbach, Tim Osing, Tobias Perlick, Maximilian Wessing, Sabine Winkler und Louisa Nele Würzbach hatten im Dezember ein außergewöhnliches Experiment gestartet: Sie ließen Zeitzeugen des Holocaust ihre Geschichte als Snapchat-Story erzählen, um junge Menschen anzusprechen, die von traditionellen Medien nicht mehr erreicht werden. "Wie lässt sich der Generation Snapchat die Erinnerung an den Holocaust nahebringen? Vielleicht am besten genau so: mit Snapchat", beglückwünschte Jurorin Dunja Hayali die Macher zu ihrem innovativen Projekt.

Den Nannen Preis in der Kategorie "Reportage-Fotografie" gewann Bieke Depoorter für den Fotobeitrag "Dürfen wir bei Ihnen schlafen?", erschienen in "Geo". Fünf Jahre nach der Arabischen Revolution hatte die Fotografin ägyptische Familien gebeten, sie für eine Nacht bei sich aufzunehmen. Jurorin und Fotokünstlerin Regina Schmeken sagte: "An die Türen wildfremder Menschen zu klopfen, erfordert Mut. Aus diesen Begegnungen intime Porträts des alltäglichen Lebens in Ägypten zu schaffen, ist eine Herausforderung."

Mit dem Nannen Preis für "Inszenierte Fotografie" wurde Jean-François Bouchard für seine im "Stern" erschienene Arbeit "Jody war eine Frau" ausgezeichnet. "Viel nackte Haut und doch nicht bloßgestellt – so treten uns die Transsexuellen im ‚Stern‘ gegenüber. Jean-François Bouchard hat eine außergewöhnliche Portraitserie inszeniert, intim und respektvoll zugleich", gab Fotograf Christian Irrgang die Begründung der Jury wider. Stellvertretend für den kanadischen Preisträger nahm "Stern"-Artdirektorin Frances Uckermann die Trophäe entgegen.