Gruner + Jahr | 11.09.2018

18 Jahre „Stern“-Kampagne „Mut gegen rechte Gewalt“

Themenbereich: Gesellschaft
Land: Deutschland
Kategorie: Projekt

Vor 18 Jahren gründete das G+J-Magazin „Stern“ gemeinsam mit der Berliner Amadeu Antonio Stiftung die Kampagne „Mut gegen rechte Gewalt“. Mehr als zwei Millionen Euro Spenden sind im Laufe der Jahre zusammengekommen, mit denen über 200 Projekte gefördert werden konnten. Das G+J-Intranet „Greenport“ sprach mit „Stern“-Reporter und Initiator Uli Hauser.

Mut gegen rechte Gewalt – das Thema ist aktueller denn je. Was bedeuten Vorkommnisse wie jüngst in Chemnitz für die „Stern“-Initiative?

Die Ereignisse in Chemnitz haben mich nicht überrascht. Seit vielen Jahren greifen Neonazis und rechtsradikale Hooligans Menschen an. Büros von Politikern werden attackiert, Bürgermeister verfolgt. Das passiert im Osten, das geschieht auch im Westen. Im Westen haben die Leute nur mehr Zeit gehabt, Demokratie zu üben und über die Jahre Vertrauen aufzubauen in einen Rechtsstaat, der die Würde des Menschen garantieren soll. Wir haben mit Gründung unserer Initiative vor 18 Jahren begonnen, Menschen zu unterstützen, die sich gegen rechte Gewalt engagieren. Wir machen diesen Menschen Mut und zeigen ihnen, dass sich Engagement lohnt. Und damit diese Arbeit jeden Tag wirklich getan wird und es nicht nur bei Absichtserklärungen bleibt, haben wir bisher über 60 Arbeitsplätze geschaffen. Das sind Arbeitsplätze für Demokratie. Viele Frauen und Männer, die jetzt im Fernsehen zu sehen sind und gefragt werden, wie sie die Lage einschätzen, sind durch unsere Kampagne unterstützt worden.

Auf welchen Projekten liegt derzeit der Fokus?

Das jüngste Projekt ist mittlerweile auch schon elf Jahre alt, wird aber auch in diesem Jahr ausgeschrieben. Es ist der „Sächsische Förderpreis für Demokratie“. Hier zeichnen wir Menschen und Initiativen aus, die sich in Städten und Gemeinden kümmern. Es sind mutige Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen. Sie stehen ein für ein Land ohne Hass. Wie es zu diesem Preis kam? Als im Herbst 2005 die Dresdner Frauenkirche eingeweiht worden war, sprach ich mit Bernhard Walter, dem ehemaligen Vorstandssprecher der Dresdner Bank, über die politischen Verhältnisse in Sachsen. Walter war als einer der maßgeblichen Förderer der Frauenkirche stolz über den Bürgersinn, der dieses Haus aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges wieder auferstehen ließ. Er war aber auch besorgt über die damals schon vielen Neonazis im Lande. Ich sagte zu ihm: „Herr Walter, lassen Sie uns gemeinsam etwas unternehmen, wir könnten einen Preis für demokratisches Engagement stiften.“ So läuft und lief das immer mit „Mut gegen rechte Gewalt“: Leute ansprechen und einfach machen.

Und wie kam es zu der Gründung von „Mut gegen rechte Gewalt“?

Rechtsradikale Jugendliche hatten in Dessau Pfingsten 2000 einen Familienvater aus Mosambik, Herrn Alberto Adriano, in den Tod geprügelt. Der Fleischer war auf dem Weg nach Hause – und er gefiel den Schlägern nicht. Nach unserer „Zählung“ war Adriano das hundertste Todesopfer rechter Terroristen nach der Wende. Wir schrieben darüber im „Stern“ – damals mit meinem Kollegen Wigbert Loer, der heute sehr viel Insiderwissen über die AfD besitzt –, und ich dachte: Ich als Journalist muss mehr tun. Meine beiden Chefredakteure Thomas Osterkorn und Andreas Petzold brauchte ich nicht groß überzeugen, die waren sofort dabei und sicherten mir jede Unterstützung zu, wie auch viele Kollegen und Kolleginnen. Ich rief meinen Freund Martin Kess an, der damals einer der Chefs der TV- und Filmproduktionsfirma Brainpool war, und bat ihn, uns 100.000 Mark zur Verfügung zu stellen. Das Schreiben mit der Zusage heftete ich an meine Bürotür und verwies von da an bei Telefonaten mit Firmenchefs auf diese Mindestsumme. Mit der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin und in Anetta Kahane und Bernd Wagner fanden wir außerdem sehr professionelle Partner – mit heißem Herzen, aber einem kühlen Blick auf die Dinge. Mit der Zeit telefonierten wir dann mit Kollegen fast eine Million Mark rein. Sogar Maschmeyer griff in die Tasche. Gruner + Jahr sowie Bertelsmann gaben Geld. Und der damalige Kanzler Gerhard Schröder „bettelte“ auf dem Presseball in Berlin den Chef von BMW um 250.000 Mark an – „für ‘ne gute Sache“, wie er sagte.

Können Sie uns einige Initiativen vorstellen, die seitdem unterstützt beziehungsweise gegründet wurden?

Nachdem der „Stern“ groß berichtete und zu weiteren Spenden aufrief, meldete sich auch Udo Lindenberg – der Senior Antifa der Szene und schon immer am Start gegen rechts. Wir vereinbarten eine meisterlich besetzte Tournee „Rock gegen rechte Gewalt“: Nena war dabei, Xavier Naidoo, die Söhne Mannheims, Scooter und Peter Maffay, um nur einige zu nennen. Ich bestärkte sie, die Initiativen vor Ort zu besuchen, und so kam es in Sachsen zu einem ersten landesweiten Treffen von Menschen, die sich des Themas „rechte Gewalt“ annehmen wollten. Bis heute konnten wir über 200 Projekte direkt finanzieren oder anschieben, es gab Gelder für die „Opferperspektive“ und vor allem für die mittlerweile weltweit anerkannte Neonazi-Aussteiger-Initiative „exit“, die bisher über 650 Kadern den Ausweg ermöglichte. Unser Konzept – unkompliziert junge Initiativen zu unterstützen – wurde dann vorbildhaft für das Förderprogramm der Bundesregierung. Wir haben eine Menge erreicht: Vor allem, weil wir den Job als ernste Arbeit betrachten, die auch bezahlt werden muss. Und nicht erledigt werden kann mit den leider inflationären Aufrufen, dass jetzt „die Zivilgesellschaft“ ran muss. Es würde schon reichen, wenn ein paar Entscheider sich ein paar mehr Minuten Zeit nehmen würden, um mit anderen „besorgten Bürgern“ zu sprechen als mit denen, die da laut krakeelen.

Was kann jeder Einzelne gegen Rechtsextremismus tun?

Ich bin eher einer, der dafür ist. Dagegen: wenn es sein muss. Aber dafür: Das ist doch viel besser. Mir reicht, wenn wir unser Grundgesetz feiern und die staatlichen Organe funktionieren. Ich freue mich, wenn Polizisten die Demonstrationsfreiheit durchsetzen, ich fühle mich wohl mit Staatsanwälten, die den Rechtsstaat verteidigen. Wir leben in einem großartigen Land, wir haben Probleme, aber die sind zu lösen. Im Miteinander. Nicht im Gegeneinander. Ich finde, jeder sollte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten engagieren. Der eine geht auf die Straße, der andere zur Bank.

Was war Ihr persönlicher Höhepunkt in 18 Jahren „Mut gegen rechte Gewalt“?

Zweifelsohne unser „Birlikte“-Festival in Köln. Drei Tage mit über 150.000 Besuchern auf der Keupstrasse in Köln, wo die Terroristen des NSU-Netzwerks zuvor eine Nagelbombe platziert hatten und nur sehr glückliche Umstände verhinderten, dass sehr viele Menschen gestorben wären. Wir haben den Bundespräsidenten eingeladen, er kam; wir hatten Udo Lindenberg dabei und Peter Maffay, Fanta 4, Hardy Krüger, Wolfgang Niedecken und viele andere. Ich habe geheult, als ich dann vor Zehntausenden von Menschen auf der Bühne stand. Entschuldigung, wenn ich jetzt so viel von mir geredet habe, aber es ist ein gutes Gefühl, dass jeder von uns, wenn er denn will und nicht zweifelt, ein paar Dinge in Bewegung bringen kann. Am Ende muss jeder für sich wissen, ob er sich ein wenig reinhängt für die Freiheit oder ob wir Demokratie eher nur konsumieren. Es ist nicht selbstverständlich, in so einem guten Land leben zu dürfen. Vergessen wir das nicht.

Wenn Sie die Arbeit von „Mut gegen rechte Gewalt“ unterstützen möchten, können Sie dies über die Website der Initiative www.mut-gegen-rechte-gewalt.de  tun.