Potsdam, 28.04.2020

Ewiges Eis? – An Bord des Eisbrechers „Polarstern“

Themenbereich: Umwelt
Land: International
Kategorie: Projekt

Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Im September 2019 startete die größte Arktis-Expedition aller Zeiten, um durch Forschung einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel zu leisten. Mit an Bord des Eisbrechers „Polarstern“ sind auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UFA Show & Factual und G+J. Aufgrund der Coronakrise verzögert sich der Austausch des aktuellen Teams.

Es ist die größte Polarexpedition aller Zeiten und gleichzeitig eines der größten Forschungsprojekte der Geschichte zum Thema Klimawandel. Seit Oktober 2019 liegt das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ festgemacht an einer großen Eisscholle in der Arktis, folgt der natürlichen Drift des Eises am Nordpol. An Bord ist ein wechselndes Team von Hunderten Wissenschaftlern aus mehr als 20 Nationen, die sich ein Jahr lang mit der Eisscholle durch den Arktischen Ozean treiben lassen und dabei zahlreiche Forschungsprojekte durchführen. Mit dabei sind auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UFA Show & Factual und Gruner + Jahr, die das Mammutprojekt für die Bertelsmann Content Alliance medial begleiten. In Phasen von jeweils zwei Monaten an Bord dokumentieren sie die Expedition mit dem Namen „Mosaic“ (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate). Einer von ihnen ist der erfahrene Dokumentarfilmer Philipp Grieß, Producer bei UFA Show & Factual, der den Auftakt der Expedition an Bord der „Polastern“ in der arktischen Nacht miterlebte.

„Die Arktis ist ein extremer Ort, der einen prägt und nicht mehr loslässt“, berichtet Philipp Grieß über seine Erfahrungen an Bord der „Polarstern“. „Sie ist aber auch ein weitgehend unbekannter Ort.“ Als das Forschungsschiff, unterstützt von einem russischen Eisbrecher, nach zehn Tagen Fahrt im Oktober 2019 an einer passenden Eisscholle festgemacht habe, sei ihm dies „wie die Landung auf einem fremden Planeten“ vorgekommen. „Es war absolut unwirklich – unglaublich still und trocken“, erzählt Grieß. Wie ein fremder Planet ist die Arktis auch aus wissenschaftlicher Sicht; viele der Prozesse, die hier an entscheidender Stelle das Weltklima mitbestimmen, sind noch nicht erforscht. „Man merkt an jeder Stelle, wie viel wir einfach noch nicht wissen: Beispielsweise wurde jetzt erstmals die Struktur des Schnees der Arktis untersucht“, berichtet Philipp Grieß, „und siehe da: Er ist anders als beispielsweise der Schnee der Alpen. Die Wissenschaftler können noch nicht zweifelsfrei sagen, ob er eigentlich kühlt oder wärmt, wenn er auf das Eis herunterschneit.“

Bevor Philipp Griess und Jakob Stark von UFA Show & Factual sowie die „Geo“-Reporterin Marlene Göring und die Fotografin Esther Horvath im vergangenen Jahr die ersten Schritte in dieser fremden Welt machen konnten, lagen einige Monate harter Arbeit und intensiver Vorbereitung hinter ihnen. „Wir haben uns seit dem vergangenen Juli auf die Expedition vorbereitet“, sagt Philipp Grieß, „allerdings ist das nichts verglichen mit den zehn Jahren Vorbereitung, die viele der Wissenschaftler in die Planung und Vorbereitung der Expedition und ihrer Untersuchungen gesteckt haben.“ Er selbst hat einige Erfahrung mit aufwändigen Drehs rund um die Welt, vor allem aus seiner Arbeit für die ZDF-Dokumentationsreihe „Terra X“. Um festzulegen, welche Geschichten sie in ihrer Dokumentation erzählen wollten, welche Wissenschaftler bei ihren täglichen Ausflügen aufs Eis begleiten, mussten sich Grieß und seine Kolleginnen und Kollegen auch mit den Forschungsinhalten der Expedition vertraut machen. „Wir standen vor einem riesigen Berg von Informationen aus der aktuellen Klimaforschung und der Naturbeobachtung“, erinnert er sich. Was passiert in der Atmosphäre? Was ist eigentlich Meereis? Welcher biochemische Austausch findet zwischen Ozean, Atmosphäre und Eis statt? Wie sieht die örtliche Ökologie aus? Welche Bedeutung hat der Arktische Ozean, an dem Pazifik und Atlantik zusammenkommen, eigentlich für das Weltklima? Dies seien nur einige der Fragen aus insgesamt fünf großen Forschungsfeldern, die auf der „Polarstern“ untersucht würden.

Aus diesen für die Klimaforschung immens wichtigen Fragestellungen heraus Geschichten zu erzählen, die nicht nur professoral Wissen vermitteln, sondern anschaulich und spannungsvoll die bisher größte Expedition in die Arktis verständlich machen, darin sieht Philipp Grieß die Aufgabe seiner Dokumentation, die im Herbst in der ARD zu sehen sein wird. Die Begleitung der „Mosaic“-Expedition, so der Producer, entspreche nahezu perfekt dem Grundethos eines Dokumentarfilmers: „Hinfahren, beobachten, im Bild festhalten und es dann anderen Menschen zeigen, die nicht die Möglichkeit haben, dort hinzufahren.“ Dazu kämen die rasanten, durch den Klimawandel verursachten Veränderungen in der Arktis. „Das ist das letzte Mal, dass ein Kamerateam eine derart lange Zeitspanne auf dem arktischen Eis verbringen kann, denn die Arktis wird in absehbarer Zeit im Sommer eisfrei sein“, meint Philipp Grieß. So sei das Eis bereits bei der Ankunft der „Polarstern“ dünner gewesen als eigentlich erwartet. „Als wir ausstiegen, war das Eis im Schnitt nur 30 Zentimeter dick, darunter war nur sehr tiefes, sehr kaltes Wasser“, beschreibt Grieß. „Wir können jetzt noch Bilder aufnehmen, die man dort in 20 Jahren nicht mehr machen kann.“ Und so sieht er eine Aufgabe seiner Dokumentation darin, den Menschen die Bedeutung dieses Ortes für das Klima näherzubringen. „Was in der Natur vor unserer Haustür passiert, passiert auch deshalb so, weil es die Arktis gibt und weil sie so ist, wie sie ist“, sagt Grieß. „Aber wir ahnen nur, was da passiert, wir wissen es nicht wirklich.“

Den Einstieg der UFA bei der „Mosaic“-Expedition markierte nicht etwa eine andere gelungene Expeditionsdoku, sondern die fiktionale UFA-Erfolgsserie „Charité“ über die Geschichte des gleichnamigen Berliner Krankenhauses. „Nico Hofmann, Chef der UFA, hat über die Arbeit an ‚Charite‘ einen guten Draht zur Helmholtz-Gesellschaft entwickelt, die ja einer der größten Förderer von Forschung in Deutschland ist“, erzählt Philipp Grieß. Hofmanns Idee sei es gewesen, die vielfältige Forschungsarbeit, die dort geleistet werde, zu porträtieren und spannende Geschichten darüber zu erzählen. Grieß selbst habe dann Anfang 2019 über die Helmholtz-Gesellschaft die Gelegenheit erhalten, an einer Delegationsreise in die Arktis teilzunehmen, bei der er unter anderem den „Mosaic“-Expeditionsleiter Markus Rex und die Direktorin des federführenden Alfred-Wegener-Instituts, Antje Boetius, kennengelernt habe. „Ich war ziemlich erstaunt, als ich feststellte, dass in einem Jahr die größte Arktisexpedition aller Zeiten starten würde und sich noch niemand so richtig verpflichtet hatte, diese im Bild festzuhalten“, erinnert er sich. Ein Grund dafür sei sicherlich der hohe logistische Aufwand gewesen, verbunden mit vielen anderen Unwägbarkeiten, doch Ute Biernat, Geschäftsführerin von UFA Show & Factual, habe dann rasch die Entscheidung getroffen: „Wir machen das jetzt.“

Mit den Schwierigkeiten der Logistik und den besonderen Anforderungen an die Technik wurde Philipp Grieß in der Folgezeit oft konfrontiert. Rund eine Tonne Material, „so viel wie noch nie bei einer meiner Dokumentationen“, sei vorab an Bord der „Polarstern“ geschafft worden. Allein eine komplette Palette Festplatten für die erwarteten rund 600 Stunden Filmaufnahmen hätten sie mitgenommen. „Da man nicht mal eben in den Elektronikmarkt fahren kann, muss man sicher gehen, dass man wirklich alles dabei hat, was man eventuell brauchen wird“, sagt Philipp Grieß. Dazu kam die Ungewissheit, ob das ganze technische Equipment überhaupt mitspielen würde. „Die Hersteller von Kameras und ähnlichen Geräten garantieren eine Funktionsfähigkeit bis minus 20 Grad“, so der Dokumentarfilmer. Jenseits dessen gebe es keine Sicherheiten mehr. „Wie sich das auswirkt, haben wir am ersten richtig kalten Tag gemerkt“, sagt Grieß, „der hat uns wirklich kalt erwischt.“ Bis dahin hätten die Temperaturen bei erträglichen minus 17 Grad gelegen, und ein Gefühl von „Alles halb so schlimm“, habe sich eingestellt. Dann habe das Wetter gedreht, es sei deutlich kälter und windiger geworden, und die ungenügend verpackte Technik habe rasch den Geist aufgegeben. „An dem Tag haben wir gelernt, wie unglaublich wichtig es ist, unsere Technik warm einzupacken.“ Er und das Team seien daneben auch rasch zu Experten für Handschuhe geworden. „Wir haben das gleiche Problem wie die Forscher: Die Hände sind bei unserer Arbeit viel im Freien, und bei den Temperaturen führt das schnell zu Erfrierungen“, so Philipp Grieß. Im Februar habe das Team beispielsweise zwei Tage Drehpause einlegen müssen, da dem Kameramann der Daumen fast eingefroren war.

Ein anderes Dauerthema der Expedition sind die sehr präsenten Eisbären. „Denen will man nicht begegnen, da zieht man den Kürzeren“, sagt der Dokumentarfilmer. Und die Gefahr einer überraschenden Begegnung mit Eisbären sei durchaus gegeben, denn so flach, wie man sich die Arktis gemeinhin vorstelle, sei sie eigentlich gar nicht. Überall in der zerklüfteten Eislandschaft gebe es ein bis zwei Meter hohe Presseisrücken, hinter die man nicht schauen könne. „Dazu ist es in der Polarnacht den ganzen Tag lang stockdunkel, man kann nur so weit sehen, wie die eigene Taschenlampe strahlt, dahinter ist nur Schwärze“, erzählt Philipp Grieß. „Damit sich nicht alle Forscher auf dem Eis Sorgen wegen der Eisbären machen, steht ihnen immer eine bewaffnete Eisbärenwache zur Seite, die im Notfall ganz schnell sein muss.“ Beobachtet würden sich nähernde Eisbären vom Schiff aus mit Infrarotkameras, abgeschreckt würden sie dann mit Lärm und Stolperdrähten, die Leuchtraketen auslösen. „Trotzdem hat es einmal ein schlauer Bär geschafft, unbemerkt bis auf 50 Meter heranzukommen.“

Bei ihrer Arbeit passen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UFA Show & Factual und G+J naturgemäß dem Arbeitstag der Forschergemeinde an, der morgens um 7 Uhr mit dem Meeting auf der Schiffsbrücke beginnt, bei dem sich der Führungskreis des Schiffes trifft, und abends mit dem Science-Meeting endet, bei dem noch einmal alle Forscher zusammenkommen. „Wir planen für den jeweils nächsten Tag, überlegen, wer ist unser Protagonist, an wen hängen wir uns dran“, erklärt Philipp Grieß. Die jeweiligen Forscherinnen und Forscher würden das Team dann jeweils über mehrere Tage begleiten, um ihren Rhythmus zu verstehen und einen besseren Draht zu ihnen aufzubauen. „Wir bewegen uns einfach mit dem Flow der Menschen, die wir gerade begleiten.“ Dank der langen, gemeinsam verbrachten Zeit sei das Filmteam zum festen Bestandteil der „Polarstern“-Expedition geworden. So hätten er und seine Kollegen immer wieder auch die Kamera beiseitegelegt und mit angepackt, beispielsweise selbst eine Eisbärenwache übernommen oder auf der Brücke mit einem Fernglas Ausschau gehalten, nach allem, was ungewöhnlich erscheint. „Dadurch ist eine ganz andere Nähe und Intensität zu der Besatzung und den Forschern entstanden, und das werden die Zuschauer auch in unserer Dokumentation spüren“, verspricht Grieß.

Bei aller Arbeit von morgens bis abends hat die „Polarstern“ für die Crew auch einiges zur Entspannung zu bieten. Zu den Highlights, sicher nicht nur für Philipp Grieß, gehören neben einem Sportraum auch ein Pool, in dem regelmäßige Wasserball-Turniere abgehalten werden, sowie eine Sauna. „Aus der Sauna aufs Helideck rauszugehen, bei minus 20 Grad, das ist einfach toll“, sagt Grieß. Es gebe sogar eine Bar an Bord, die beispielsweise für Geburtstage geöffnet werde, allerdings nur, wenn sich Freiwillige für den Bardienst fänden.

Nach den ersten Monaten an Bord der „Polarstern“ hat das UFA-Team – insgesamt sollen sich innerhalb dieses einen Jahres neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UFA Show & Factual an Bord abwechseln – bereits einen Berg an Material und Themen gesammelt mit Hunderten von Filmstunden. Daraus schneiden Philipp Grieß und das Team von UFA Show & Factual nun die Dokumentation zusammen, in deren Mittelpunkt auch ein ungewöhnlicher Hauptprotagonist stehen wird: die „Polarstern“. Rund um das Schiff werden sich dann kleine Geschichten „andocken“, so Grieß, in denen über verschiedene Themenfelder erzählt wird.

Für zwei UFA-Mitarbeiter, Dieter Stürmer und Manuel Ernst, die seit Mitte Februar auf der „Polarstern“ sind, dauert das Expeditions-Abenteuer allerdings deutlich länger als geplant. Aufgrund der Corona-Pandemie hat Norwegen seine Grenzen für ausländische Reisende vorerst geschlossen, so dass die Ersatzmannschaft nicht wie geplant von Spitzbergen aus per Flugzeug zur „Polarstern“ gebracht werden kann. Der nächste Austausch der Besatzung wird nun wahrscheinlich erst im Juni stattfinden können. Schon der letzte Wechsel der „Polarstern“-Besatzung im Februar hatte sich um zwei Wochen verzögert, weil das Versorgungsschiff mit dem neuen Personal, das vom norwegischen Hafen Tromsø aus gestartet war, nur sehr langsam durch das dichte Eis vorankam.

„Diese beiden Monate an Bord der ‚Polarstern‘ haben mich nachhaltig beeinflusst“, so das Fazit von Philipp Grieß über seine Zeit in der Arktis. „Es war zum einen erschreckend für mich, zu sehen, wie fundamental der Einfluss der Menschen auf die gesamte Welt ist.“ So fänden sich selbst in der Arktis in vermeintlich unberührter Natur Mikroplastikteilchen, die über die Atmosphäre dort hinbefördert würden. Zum anderen sei er jedoch mit einem positiven Gefühl aus der Arktis zurückgekehrt. „An Bord der ‚Polarstern‘ sind wir Zeuge einer großen gemeinsamen Anstrengung vieler Nationen und der weltweiten Wissenschaftsgemeinde“, so Grieß. Das empfinde er als ein wirklich Mut machendes Beispiel dafür, was alles möglich sei, wenn der Wille da ist. „Die ‚Mosaic‘-Expedition ist ein Beleg für den Traum des Menschen, Dinge verstehen zu wollen und die Bereitschaft, dafür auch viel auf sich zu nehmen. Diese Menschen auf der ‚Polarstern‘ haben es verdient, dass wir sie porträtieren – in ihrer Arbeit, in ihren Zweifeln und in ihrem Hoffen.“