Wiederaufgelegt: „Medea“, die erste Ricordi-Schallplatte

Bertelsmann, das Archivio Storico Ricordi und Sonopress bringen eine limitierte Vinyl-Edition einer Schallplatte heraus, die in mehrfacher Hinsicht (Musik-)Geschichte geschrieben hat. Heute erscheint Cherubinis „Medea“ in einer Aufnahme von 1958 mit Maria Callas in der Titelrolle aus der Mailänder Scala. Die Sammleredition ist auf 500 Exemplare begrenzt.

Die Oper ist 223 Jahre alt. Die 1977 verstorbene Sängerin würde bald ihren 100. Geburtstag feiern. Die Aufnahme entstand vor 62 Jahren. Und doch: Zumindest in Fach- und Liebhaberkreisen hat die Aufnahme von Cherubinis „Medea“ aus dem Jahr 1958 in der legendären Mailänder Scala mit der nicht minder legendären Maria Callas in der Hauptrolle nie an Aktualität verloren. Und für den Musikverlag Ricordi bleibt sie immer etwas Besonderes. Sie markierte dessen Einstieg in das Schallplattengeschäft, die erste Platte des Labels Dischi Ricordi. Nun geben das zur Unternehmenskommunikation von Bertelsmann gehörende Archivio Storico Ricordi in Mailand, Bertelsmann und Sonopress in einem Gemeinschaftsprojekt die Vinyl-Schallplatte neu heraus. Die auf 500 Stück limitierte Sonderedition ist über die Website www.archivioricordi.com  zu erwerben.

Die Einspielung der Oper „mit Maria Callas in der Titelrolle und dem berühmten italienischen Dirigenten Tullio Serafin am Pult des Orchesters der Mailänder Scala von 1958 erfuhr mehrere Wiederauflagen, in den vergangenen Jahrzehnten jedoch nur als CD.

Die Geschichte der Platte: ein Paradebeispiel für die Verbindung von Unternehmertum und Kreativität

Die Idee wurde aus Anlass des 150. Geburtstages der Casa Ricordi 1958 geboren und sollte ursprünglich ein einmaliges Projekt darstellen, allerdings von Beginn an mit dem Anspruch, neue Standards zu setzen. Die Casa Ricordi hatte sich bis dahin vom stark durch US-amerikanische Firmen dominierten Schallplattenmarkt ferngehalten. Ihr Geschäft bestand vor allem aus der Druckerei, populärer Graphik und natürlich dem Musikverlag mit Niederlassungen in der ganzen Welt. Musik, insbesondere klassische Musik auf Tonträgern zu verewigen, das war in der Vorstellung der Mailänder Verleger jedoch undenkbar, und der Siegeszug der Vinylschallplatte fand in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst ohne Ricordi statt.

Das sollte sich mit der „Medea“-Einspielung ändern: Der junge Carlo Emanuele Ricordi (genannt Nanni) stand als „Spiritus Rector“ hinter dem Vorhaben. Der Urenkel des legendären Giulio Ricordi hatte einige Jahre in den USA für das Plattenlabel Victor gearbeitet, wo er Erfahrung und technisches Know-how gesammelt hatte. Er ließ für die Aufnahme eigens das neueste technische Equipment des Musiklabes „Mercury“ von New York nach Mailand verschiffen und überwachte die gesamte Produktion selbst. So entstand eine Aufnahme, die noch heute eine erstaunliche Präsenz hat, natürlich auch aufgrund der sagenhaften Maria Callas in der Rolle der Medea, die der bis dahin eher unbekannten Oper zu ihrem eigentlichen Durchbruch verhalf.

Die Schallplatte wurde im Oktober 1958 auf der großen Geburtstagsfeier der Casa Ricordi im Beisein der Diva präsentiert. Sie wurde ein solcher Erfolg, dass bereits nach neun Monaten eine weitere Platte nur mit den Arien erschien, die ebenfalls ein „Blockbuster“ wurde (genaue Verkaufszahlen sind leider nicht überliefert). Nach dem Erfolg der Medea-Platte baute Nanni konsequent die Plattenproduktion bei der Casa Ricordi auf. Das Label Dischi Ricordi produzierte in den folgenden Jahren nicht nur klassische Opern, sondern setze vor allem auch auf populäre italienische Volksmusik. Zahlreiche „Cantautori“ wie Giorgio Gaber, Gino Paoli, Luigi Tenco, Ornella Vanoni, Enzo Jannacci, Lucio Battisti und viele andere haben hier ihre musikalische Heimat gefunden. Wie ein Jahrhundert zuvor, als die Ricordi-Gründungsväter die Komponisten Rossini, Donizetti und Verdi entdeckt hatten, schrieb die Casa Ricordi damit abermals italienische Kulturgeschichte.

Der Reprint

Cover und Box der Neuauflage (mit drei LPs) sind nach der historischen Vorlage gestaltet. Für das Reprintprojekt stellte die Casa Ricordi, die heute getrennt vom Archiv im Rahmen des Vivendi/Universal-Konzerns arbeitet, die Rechte kostenlos zur Verfügung. Wer sich näher informieren möchte, kann sich auf der Facebookseite  des Ricordiarchivs eine Zoom-Konferenz zum Thema anschauen. Dort diskutieren der Musikwissenschaftler Gabriele Dotto, der Kultursoziologe Dominik Bartmanski und der Journalist bzw. Callas-Experte Andrea Penna über den historischen Kontext, aber auch die Möglichkeiten, die eine Wiederauflage einer so ikonischen Einspielung im heutigen Musikmarkt bietet.