News | 14.10.2020

„Liebhaber des gedruckten Buches“ - F.A.Z., 1.10.2020

Thomas Rabe treibt im Bertelsmann-Konzern die Digitalisierung voran. Den Verlag Simon & Schuster würde er aber auch gern übernehmen.

Konsequente Digitalisierung - mit diesen beiden Worten lässt sich zusammenfassen, wie der Vorstandschef des Medien- und Dienstleistungskonzerns Bertelsmann, Thomas Rabe, das Gütersloher Unternehmen seit einigen Jahren ausrichtet. Der asketisch wirkende Manager hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er halbe Sachen nicht mag. Als "Tempomacher" wird er beschrieben. In der Corona-Krise hilft der hohe Anteil der Digitalgeschäfte neben der breiten Aufstellung Bertelsmann jetzt spürbar. Warum interessiert sich Rabe in dieser Situation dafür, mit Simon & Schuster möglicherweise den drittgrößten amerikanischen Verlag zu übernehmen?

Der Plan der Mediengruppe Viacom CBS, sich von der Buchsparte zu trennen, ist seit einiger Zeit bekannt. "Wenn es die Möglichkeit gibt, Simon & Schuster zu übernehmen, dann würden wir sicher darüber sprechen", sagt Rabe. Schließlich sei Bertelsmann, zu dem mit Penguin Random House schon die größte Buchverlagsgruppe der Welt gehört, "ein guter Hafen für Buchverlage". Und der Markt sei immer noch sehr fragmentiert. Bücher sind seit 185 Jahren das Kerngeschäft von Bertelsmann. "Das wird auch so bleiben", sagt Rabe, der in die immer wieder zu hörenden Abgesänge auf das Buch nicht einstimmen mag.

Der Bertelsmann-Chef ist selbst ein Vielleser. Von den 10 bis 15 Autoren, die er besonders schätzt, hat der 1965 in Luxemburg geborene Manager alle Bücher zu Hause im Regal. "Von denen lese ich jedes Buch", sagt Rabe. Thea Dorn gehört dazu, auch Julie Zeh, Daniel Kehlmann oder der österreichische Autor Robert Menasse. Gern lädt Rabe Autoren, die er schätzt, auch zu Lesungen oder Gesprächen in sein Privathaus nach Gütersloh ein. "Ich habe auch ein Heft, in das ich alle Bücher schreibe, die ich in meinem Leben noch einmal lesen möchte." Derzeit liest er gerade den ersten Band der Memoiren des amerikanischen Präsidenten Barack Obama - als E-Book. Penguin Random House hatte sich 2017 die Weltrechte für die Memoiren des ersten afroamerikanischen Präsidenten im Weißen Haus und seiner Frau Michelle Obama gesichert. Michelle lieferte zuerst. Bis Ende 2019 verkauften sich ihre Erinnerungen international schon mehr als 13 Millionen Mal, als gedrucktes Buch, E-Book oder Hörbuch verkauft. Das Buch sei als Medium flexibel. "Neben dem gedruckten Buch und dem E-Book erleben wir eine Markterweiterung durch das Hörbuch", sagt Rabe. Die Memoiren des früheren Präsidenten erscheinen am 17. November - in 25 Sprachen. Noch ein Bestseller? "Erfolg lässt sich bei Büchern nicht programmieren", sagt er.

Als Vorstandschef hat Rabe die Konsolidierung im Buchgeschäft von Bertelsmann von Beginn an mit Verve vorangetrieben. Er brach mit einem langjährigen Tabu des Konzerns und setzte durch, die defizitären Bertelsmann-Buchclubs zu schließen. Er führte die Nummer eins im Markt, Random House, mit der Nummer zwei, Penguin, zusammen. Und bald vielleicht auch noch Simon & Schuster? "Das Buchgeschäft ist ein Inhaltsgeschäft erster Güte", sagt Rabe. Das Erzählen von Geschichten gehöre zur menschlichen Natur - in allen Formen. Mehr digitale Streaming-Dienste benötigen eben auch Inhalte. Rund sechs Milliarden Euro investiert Bertelsmann jedes Jahr in Inhalte.

Rabe selbst bezeichnet sich als hybriden Leser, was das Buch angeht. "Vor allem unterwegs ist das E-Book praktischer", sagt er. "Aber ich mag die Haptik eines gedruckten Buchs." Deswegen würde er sich, wenn er sich entscheiden müsste, für das gedruckte Buch entscheiden. Unterwegs ist Rabe jetzt noch mehr als früher. In Personalunion führt er neben Bertelsmann in Gütersloh auch das größte Tochterunternehmen, die Luxemburger RTL-Group. "RTL hat mich näher an das Tagesgeschäft gebracht", sagt Rabe. Er hält das für wichtig, weil er so im Tagesgeschäft auch sieht, dass Veränderungen durch die Digitalisierung immer schneller werden. "Es hilft mir auch als Bertelsmann-Chef, diese Geschwindigkeit nicht nur am Schreibtisch der Holding zu erleben", sagt Rabe.

Der Bertelsmann-Chef gehört nicht zu den Spitzenmanagern, die es täglich in die Medien drängt. Dass er dennoch selbst für eine Kampagne wirbt, mit der 50 000 Stipendien für Lehrangebote auf der Online-Weiterbildungsplattform Udacity vergeben werden, ist deswegen nicht nur am Konzernsitz in Ostwestfalen aufgefallen. "Ich identifiziere mich damit zu 100 Prozent", sagt er, "auch wegen der großen gesellschaftlichen Bedeutung." Digitale Bildungsplattformen will Rabe zu einer dritten Säule von Bertelsmann neben dem Medien- und Dienstleistungsgeschäft ausbauen. Udacity-Angebote zum Beispiel führen in digitale Technik ein. Als neues Angebot sind unter anderem Nanodegree-Kurse für Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen im Programm. Rabe sagt, Digitalisierung führe "zu einer Demokratisierung der Bildung". Es gehe darum, noch mehr Menschen in der digitalen Welt erfolgreich zu machen und für die Technologien zu begeistern. Wie wichtig das sei, habe sich gerade während der Corona-Pandemie gezeigt. Die habe nämlich die Schwächen in der Digitalisierung des deutschen Bildungswesens aufgedeckt.

Dabei räumt auch Rabe ein, dass Digitalisierung nicht alles ersetzen könne. "Ausbildung muss mehr sein als die Ansammlung von Wissensstoff", sagt er. Soziale Intelligenz sei wichtig, der Austausch mit anderen Positionen und Ansichten. Das verlange immer nach persönlichem Austausch. Er selbst sucht diesen Austausch neben der Arbeit nicht nur mit Literaten, die er in sein Privathaus einlädt. Mit seiner Frau teilt Rabe das Interesse für Kunst und Kunstgeschichte. Kürzlich kauften die beiden das Wohnhaus "La Nouvelle Maison" des Art-Nouveau-Begründers und Bauhaus-Wegbereiters Henry van de Velde im Brüsseler Vorort Tervuren. Rabe ist in der Nachbarschaft groß geworden. Jetzt lässt er das Haus renovieren. Denn Brüssel, sagt er, "ist meine Heimatstadt".

Wie schafft er das alles - und kann sich dabei auch noch um seine Stiftung kümmern, mit der er talentierte junge Sportler fördert oder versucht, obdachlose Jugendliche in Berlin von der Straße zu holen? Wichtig sei es, delegieren zu können und gute Leute an seiner Seite zu haben. Dass Rabe delegieren kann, wissen die, die ihn kennen. Sie wissen aber auch, dass er Leistung erwartet. Wichtig sei, selbst Geist und Körper fit zu halten, lautet sein Ratschlag. "Ich treibe regelmäßig Sport, bin schon mehrere Marathons gelaufen", berichtet er. Man kann den Stolz in seiner Stimme hören, wenn er sagt: "Meine Fitnesswerte werden immer besser, obwohl ich jedes Jahr älter werde."

CARSTEN GERMIS

Quelle: F.A.Z., 01.10.2020, Unternehmen (Wirtschaft), Seite 24

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