News | RTL Group | Berlin/München, 02.05.2023

„Das visuelle Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland“

Das Fotoarchiv des Magazins „Stern“ gehört zu den bedeutendsten Fotosammlungen Deutschlands. 2019 übertrug Gruner + Jahr das Archiv an die Bayerische Staatsbibliothek in München, die dann mit der Digitalisierung der analogen Bilder begann. Mittlerweile sind bereits rund 320.000 Fotos zu mehr als 1.300 „Stern“-Reportagen online verfügbar.

Die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer 1977, der Besuch von US-Präsident Ronald Reagan in West-Berlin 1987, der Fall der Berliner Mauer 1989 – all diese Ereignisse gehören zu den historischen Momenten, die sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt haben. Über Jahrzehnte hat das Magazin „Stern“ diese und viele andere bedeutende Momente in Deutschland und der ganzen Welt vor allem auch über seine Bilder dokumentiert. Die analogen Fotos, die für den „Stern“ zwischen 1948 und 2001 entstanden, sammelte das Magazin in seinem Fotoarchiv, das insgesamt fast 16 Millionen Negative, Dias und Abzüge umfasst. Gruner + Jahr hatte die berühmte Fotosammlung 2018 der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) geschenkt, um sie auf diesem Weg der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und ihre langfristige Existenz zu sichern. Wie weit die BSB auf diesem Weg bereits gekommen ist, stellte der Generaldirektor der Bibliothek, Klaus Ceynowa, am 25. April den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ersten Fachtagung des Instituts für Zeitgeschichte zur Geschichte des „Stern“ vor. Dazu waren rund 50 Historiker:innen und Journalist:innen der Einladung in die Berliner Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden 1 gefolgt.

„Das ‚Stern‘-Fotoarchiv ist das visuelle Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland“, sagte Klaus Ceynowa zur Einordnung der Sammlung. Es spiegele darüber hinaus auch das weltpolitische Geschehen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider und sei ein einzigartiges Dokument des Fotojournalismus. „Der ‚Stern‘ war Vorreiter der visuellen Dokumentation in Deutschland, bei ihm war die Visualität Programm“, so Ceynowa, der das Magazin in dieser Beziehung auf einer Stufe mit dem bekannten US-amerikanischen Magazin „Life“ sieht. Die „Stern“-Fotografie zeichne sich nicht nur durch die Aktualität und Qualität der Bilder aus, sondern vor allem durch unkonventionelle, aufsehenerregende Fotos, die immer wieder mit ungewöhnlichen Perspektiven verblüffen würden. Das Magazin folge dabei seinem Gründer und langjährigen Chefredakteur Henri Nannen, von dem die Forderung überliefert sei, der „Stern“ dürfe gerade nicht die Bilder bringen, die alle anderen veröffentlichen.

Während andere große Magazine wie der „Spiegel“ viel mit freien Fotografen gearbeitet hätten, so Ceynowa, habe der „Stern“ vor allem festangestellte Fotografen beschäftigt. Darunter sind bekannte Namen wie Volker Hinz, Robert Lebeck, Perry Kretz, Rolf Gillhausen, Jay Ullal, Fred Ihrt, Harald Schmitt oder Jürgen Gebhardt. „Da wurde dann ein Fotograf auch schon mal für eine mehrwöchige Reportage nach Südamerika, Asien oder in die USA geschickt“, berichtete Ceynowa. Dank üppiger Spesenbudgets und sprudelnder Verkaufs- und Werbeeinnahmen sei dies in den 1960er- oder 1970er-Jahren kein Problem gewesen.

Schon bald nach der Schenkung an die Bayerische Staatsbibliothek ist das „Stern“-Fotoarchiv im Sommer 2019 von Hamburg nach München umgezogen. Bevor die Bibliothek damit beginnen konnte, die Fotos zu digitalisieren und öffentlich verfügbar zu machen, musste zunächst die komplexe Frage der Nutzungsrechte geklärt werden. Beim „Stern“, so Ceynowa, sei es so gewesen, dass diese Rechte nach einigen Jahren automatisch wieder an die Fotografen zurückgefallen seien. Bei der Rechtefrage sei es ein großer Vorteil gewesen, dass der „Stern“ seine Fotografen festangestellt habe und der Kreis der Rechteinhaber deshalb noch überschaubar sei. Mit den meisten von ihnen beziehungsweise ihren Nachkommen schloss die Bayerische Staatsbibliothek dann Nutzungsvereinbarungen ab, die auch eine öffentliche Nutzung beinhalten. Auf diesem Weg kamen 2019 und 2020 sogar zusätzlich noch weitere private Fotobestände ehemaliger „Stern“-Fotografen zum Archiv dazu.

Nachdem die Rechtefrage geklärt war, begann die BSB 2021 nach einer europaweiten Ausschreibung zusammen mit bislang drei Dienstleistern mit der Mammutaufgabe der Digitalisierung. Die Bibliothek hatte auf diesem Gebiet bereits mehrjährige Erfahrung, unter anderem dank einer Kooperation mit Google, und sah sich auch deshalb in der Lage, das komplizierte und teure Projekt einer Massendigitalisierung anzugehen. Ende 2021 begann der erste Projektabschnitt, der drei Millionen Negative umfasst, die zwischen 1972 und 2001 aufgenommen wurden und deren Rechte geklärt sind. Zusammen mit den dazugehörigen Kontaktbögen werden sie bis Mitte 2025 digitalisiert und online zugänglich gemacht. Seit dem Start werden wöchentlich rund 16.000 Negative digitalisiert; Mitte April dieses Jahres lag die Zahl digitalisierter Negative bereits bei etwa einer Million. Um einen besseren Überblick zu behalten, sind die Bilder den „Stern“-Reportagen zugeordnet, für die sie seinerzeit aufgenommen wurden.

Im Februar dieses Jahres ging die Bayerische Staatsbibliothek dann den nächsten Schritt und stellte das Portal „Stern-Fotoarchiv“ online. Es enthält aktuell rund 320.000 Bilder, die zu 1.332 „Stern“-Reportagen gehören; laufend kommen weitere hinzu. Die bereits veröffentlichten Reportagen stammen von 15 renommierten, festangestellten „Stern“-Fotografen. Im Portal wird jeder von ihnen kurz porträtiert, die jeweiligen Reportagen werden direkt verlinkt. Einen Blick hinter die Kulissen der Arbeit der „Stern“-Bildredaktion erlauben die Kontaktbögen der einzelnen Reportagen, auf denen häufig handschriftliche Markierungen zu sehen sind. Ein Kontaktbogen versammelt mehrere Negative eines Films in gleicher Größe auf einem Bogen. Mittels eines „Best of‘-Filters können gezielt nur die durch die „Stern“-Bildredaktion oder den „Stern“-Fotografen auf dem Kontaktbogen markierten Aufnahmen angezeigt werden. „Für Wissenschaft und Öffentlichkeit ist das ‚Stern-Fotoarchiv‘ der Bayerischen Staatsbibliothek eine einzigartige zeithistorische Quelle von nationaler und internationaler Bedeutung“, resümiert Generaldirektor Klaus Ceynowa.