News | London, 29.05.2023

„Übernahmen sind von Beginn an Teil unserer Geschichte“

Boost@Bertelsmann: Fremantle

Scott Henderson, Director of Mergers & Acquisitions bei Fremantle, über die Akquisitionsstrategie des Unternehmens und darüber, wie die RTL-Group-Tochter es schafft, durch gezielte Übernahmen ihr Portfolio zu erweitern und zusätzliches Wachstum zu erzielen.

Allein im Geschäftsjahr 2022 hat Fremantle die Mehrheit an den Produktionsgesellschaften Lux Vide, Dancing Ledge Productions, Element Pictures, 72 Films, Wildstar Films und Silvio Productions übernommen. Die Gruppe stockte zugleich ihre Anteile an Eureka auf und beteiligte sich an Fabel Entertainment, um ihre Kapazitäten in den Bereichen Drama und Dokumentationen auszubauen. Der weitere Ausbau des Fremantle-Geschäfts ist einer der erklärten Schwerpunkte der Boost-Strategie von Bertelsmann. Scott Henderson, Director of Mergers & Acquisitions bei Fremantle, spricht im Interview am Beispiel der italienischen Produktionsfirma Lux Vide über die Akquisitionsstrategie des Unternehmens und darüber, wie die RTL-Group-Tochter es schafft, durch gezielte Übernahmen ihr Portfolio zu erweitern und zusätzliches Wachstum zu erzielen.

Mr. Henderson, Fremantle hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Produktionsfirmen erworben. Welche Strategie verbirgt sich dahinter?

Die Fremantle-Gruppe, wie wir sie heute kennen, entstand Anfang der 2000er-Jahre im Zuge der Fusion von CLT-UFA und Pearson TV zur RTL Group – Übernahmen sind also von Beginn an Teil unserer Geschichte. Die Fremantle-Gruppe, wie wir sie heute kennen, entstand Anfang der 2000er-Jahre aus dem Zusammenschluss von Talkback Thames, All American, Grundy und UFA, Übernahmen sind also von Beginn an Teil unserer Geschichte. In den darauffolgenden zehn bis 15 Jahren hat Fremantle in mehrere Unternehmen investiert, um die Gruppe dadurch breiter aufzustellen und zu stärken, beispielsweise über die Diversifizierung von Genres, den Ausbau der geografischen Reichweite und Wachstum in unserem Kerngeschäft Unterhaltung. Ab 2013 sind wir dann mit den Übernahmen von Miso in Skandinavien und Wildside in Italien in den Bereich der High-End-Produktion von Spielfilmen und fiktionalen Serien, den sogenannten Scripted-Formaten, eingestiegen. Dank dieser Akquisitionen sowie einiger späterer Investitionen und unserer eigenen Anstrengungen konnten wir ein beträchtliches Scripting-Geschäft bei Fremantle aufbauen.

In den vergangenen beiden Jahren haben wir weiter in Scripted-Unternehmen mit Kapazitäten in der Produktion von Serien und Spielfilmen gleichermaßen investiert, immer auf der Suche nach den besten Kreativen und Talenten für unser bestehendes Portfolio. Ende 2022 haben wir unsere ersten Produktionsfirmen mit einem Schwerpunkt auf hochwertigen Dokumentarfilmen in Großbritannien und Israel erworben, da Dokumentarfilme ein Genre sind, in dem wir weiter expandieren möchten. Diese Akquisitionen stehen zusammen mit unserem organischen Wachstum voll im Einklang mit dem erklärten Ziel der RTL Group, den Umsatz von Fremantle bis 2025 auf drei Milliarden Euro zu steigern, wobei dieses Ziel je zur Hälfte über organisches Wachstum und über Akquisitionen erreicht werden soll.

Welche Kriterien machen ein Produktionsunternehmen für Fremantle interessant?

Wenn wir uns Unternehmen für potenzielle Investitionen ansehen, ist das Hauptkriterium für uns, dass das Unternehmen eine Mischung aus unglaublicher Kreativität, einer starken Erfolgsbilanz, einer unternehmerischen Denkweise und großartigen Beziehungen zu Kunden und Talenten aufweist. Da ein solches Unternehmen nach einer Investition eine enge Beziehung zu Fremantle eingeht, ist es auch wichtig, dass die Gründer einen kooperativen Ansatz verfolgen und Werte pflegen, die zu Fremantle passen. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, werden jedes Jahr zahlreiche Investitionsmöglichkeiten an uns herangetragen, von denen die meisten nicht zu uns passen. Es geht nicht darum, Unternehmen nur aufgrund ihres Produktionsvolumens und Umsatzes zu erwerben. Aufgrund unserer früheren Investitionen haben wir eine gute Vorstellung davon, was bei verschiedenen Unternehmen funktioniert hat und was nicht.

Und wie finden Sie überhaupt heraus, dass ein Produktionsunternehmen zum Verkauf steht?

Wir entdecken solche Gelegenheiten über verschiedene Quellen. Einiges ergibt sich über externe Berater – Investmentbanker oder Rechtsberater –, die im Auftrag der Verkäufer arbeiten. Andere Chancen eröffnen wir uns selbst, indem wir direkt auf die Unternehmen zugehen. Die meisten Gelegenheiten ergeben sich aber durch bereits bestehende Beziehungen, die unsere Führungskräfte vor Ort zu Produzenten und Talenten haben. Die lokalen Teams von Fremantle verfügen über eine enorme Marktkenntnis und wenden sich oft an unser Managementteam, um eine mögliche Investition vorzuschlagen.

Können Sie bitte im konkreten Fall der italienischen Produktionsfirma Lux Vide den Prozess von den ersten Gesprächen bis zum Abschluss beschreiben?

Bei Lux Vide handelte es sich um einen Wettbewerbsprozess, der von einem externen Investmentbanker durchgeführt wurde. Das Unternehmen wurde von der Familie Bernabei gegründet und wird immer noch von ihr geführt. Daher war es für sie von grundlegender Bedeutung, den passenden Partner zu finden. Der Bieterprozess bestand aus mehreren Runden mit unverbindlichen Angeboten, in denen wir mit anderen Parteien konkurrierten, von denen einige höhere Angebote vorlegten als wir. Letztendlich haben die Gründer aber einen guten Draht zu unserem Managementteam aufgebaut und waren der Meinung, dass Fremantle am besten zu ihrem Unternehmen passt. Wir haben uns dann über die Struktur des Deals geeinigt. Zunächst haben die Besitzer Fremantle eine exklusive Frist eingeräumt, und unsere Teams begannen zusammen mit externen Beratern mit der Due-Diligence-Prüfung, bei der ein Unternehmen vor einer Übernahme auf Herz und Nieren geprüft wird. Unsere Standard-Due-Diligence-Prüfung konzentriert sich auf die Bereiche Finanzen, Steuern, Recht, Personal, IT und Handel. Bei dieser speziellen Übernahme besitzt und betreibt das Unternehmen eigene Produktionsstudios und war zum Zeitpunkt der Übernahme mitten im Bau neuer Studios. Daher haben wir auch einige Immobilienberater mit der Prüfung der Studios beauftragt. In Anbetracht der Tatsache, dass das Unternehmen fast 30 Jahre alt ist und über umfangreiche Studioflächen verfügt, war dies eine große Aufgabe. Parallel zur Due-Diligence-Prüfung verhandelten wir umfangreiche juristische Dokumente, reichten Kartellanträge für die Transaktion ein und durchliefen den Genehmigungsprozess bei Fremantle, RTL Group und Bertelsmann.

Was hat gerade Lux Vide interessant für Fremantle gemacht?

Lux Vide ist ein sehr etabliertes Unternehmen mit einem großartigen Katalog von Sendungen und mit einer redaktionellen Ausrichtung, die sich von unseren übrigen Unternehmen unterscheidet. Das Studio produziert Sendungen, die für kommerzielle Sender in Italien und international entwickelt und gedreht werden. Das Team von Lux Vide ist brillant, und es kann einige Dauerbrenner-Serien – von „Don Matteo“ wird gerade die 14. Staffel produziert – sowie einige hervorragende neue Serien in der Entwicklung vorweisen. Zudem besitzt Lux Vide eigene Studios in der Nähe von Rom, was es dem Unternehmen ermöglicht, die gesamte Wertschöpfungskette von der Kreation bis zur Auslieferung selbst zu kontrollieren. Schließlich waren wir der Meinung, dass der von uns ausgehandelte Vertrag einen großen Mehrwert sowohl für Fremantle als auch für die Gründerfamilie mit sich bringt und dass es auch Synergien mit der Fremantle-Gruppe insgesamt gibt.

Was ändert sich für eine bis dahin unabhängige Produktionsfirma wie Lux Vide, wenn sie Teil von Fremantle wird? Welche Vorteile ergeben sich für sie?

Einer unserer zentralen Grundsätze ist es, die Kreativität oder die Kultur des übernommenen Unternehmens nicht zu verändern, denn gerade dies ist ja einer der Hauptgründe für unsere Investition. Wenn wir ein neues Unternehmen erwerben, gibt es in der Regel bestimmte Änderungen in Bezug auf die Finanzberichterstattung und die Einhaltung von Vorschriften, um das Unternehmen mit den Standards der Gruppe in Einklang zu bringen. Aber im Allgemeinen halten sich diese Änderungen in Grenzen. Die Vorteile, zu Fremantle zu gehören, bestehen beispielsweise darin, dass die Unternehmen nun regelmäßig mit unseren Kreativ- und Vertriebsteams kommunizieren, die ihnen bei der internationalen Ausrichtung einer Produktion und der Finanzierung von Projekten in einem frühen Stadium helfen können. Neue Firmen haben auch Zugang zu einer Reihe von unterstützenden Bereichen wie Forschung, Digitaltechnik, Recht, Finanzen, Steuern und IT. Und sie sind generell in der Lage, regelmäßig mit Fremantle-Unternehmen in der gesamten Gruppe in Kontakt zu treten und mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Spürt Lux Vide, dass es nun Teil einer größeren Unternehmensfamilie ist?

Das Management von Lux Vide genießt die Unterstützung und den Rückhalt von Fremantle, wobei unsere internationale Präsenz und unsere strategische Unterstützung einen echten Mehrwert für diese Beziehung darstellen und dem Unternehmen gleichzeitig den Freiraum geben, um kreativ unabhängig zu sein. Die Zusammenarbeit mit dem Fremantle-Team ist überaus kooperativ, und sowohl Luxe Vide als auch Fremantle sind bestrebt, dem Unternehmen zu mehr Wachstum zu verhelfen.

Wie intensiv ist die Zusammenarbeit von Lux Vide mit den anderen italienischen Fremantle-Unternehmen Wildside und The Apartment?

Fremantle fördert die Zusammenarbeit zwischen all seinen Unternehmen und ist bestrebt, Effizienz und Mehrwert für Fremantle als Ganzes zu schaffen. Wir respektieren jedoch die Kultur und Unabhängigkeit der einzelnen Unternehmen und Labels, an denen wir beteiligt sind. Ein Teil des Prozesses der Integration von neuen Unternehmen ist es, hier ein Gleichgewicht zu finden und zu erhalten.