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News | RTL Group | Köln, 16.09.2015

Peter Kloeppel: „Medien stehen in der Verantwortung“

Seit Wochen haben die Redaktionskonferenzen für „RTL Aktuell“ und auch die anderen Informationssendungen der Mediengruppe RTL Deutschland EIN großes Schwerpunktthema: den Strom der Flüchtlinge nach Westeuropa und vor allem hierher nach Deutschland. Für uns Journalisten ist das eine besondere Herausforderung. Selten hatten wir in den vergangenen Jahren eine Nachrichtenlage, die sowohl emotional als auch inhaltlich extrem aufgeladen ist. Aber gleichzeitig birgt diese Herausforderung auch die Chance, unsere Zuschauer so umfassend und objektiv wie möglich zu informieren über das sich verändernde Gesicht Deutschlands. Bei der Mediengruppe RTL Deutschland sehen wir uns in der Verantwortung, die Chancen für Deutschland  in den Vordergrund zu stellen, ohne die Risiken zu verschweigen.  

Anzeichen für eine Flüchtlingsbewegung hin zur Europäischen Union hat es schon lange gegeben. Ich erinnere mich gut an mehrere Gespräche in den vergangenen Jahren mit unserer Nahost- und krisenerfahrenen Korrespondentin Antonia Rados, die schon kurz nach Beginn des Bürgerkrieges in Syrien Anfang 2011 auf die Verzweiflung der Menschen in den Flüchtlingslagern hinwies. „Irgendwann wird es diese Menschen nicht mehr in den Zeltstädten oder überfüllten Lagern der syrischen Nachbarländer wie Jordanien, Libanon oder der Türkei halten“, sagte sie mir. „Irgendwann werden sie losziehen.“ Der anwachsende Terror der IS-Milizen, die blutigen Gewalttaten gegen unschuldige Menschen und die halbherzige Reaktion westlicher und arabischer Regierungen machten die Situation in den vergangenen Jahren nur noch schlimmer.

Wir berichteten mehrfach über die ausweglose Situation der Bürgerkriegsflüchtlinge, aber immer erschien auch uns die Möglichkeit, dass sich da Hunderttausende auf den Weg machen könnten, als eher unwahrscheinlich. Parallel dazu erreichten uns die Bilder der afrikanischen Flüchtlinge, die sich auf die lebensgefährliche Überfahrt von Libyen, Tunesien oder Marokko Richtung Italien und Spanien machten. Unser Reporter Jenke von Wilmsdorff nahm das schon im Jahr 2011 zum Anlass, sich selber auf solch einen Seelenverkäufer zu wagen. Von Tunesien aus fuhr er nach Lampedusa; 45 Stunden dauerte die Überfahrt. Dass er und die über 300 Mitreisenden tatsächlich einen sicheren Hafen erreichen würden, erschien mehrfach ungewiss. Zum Glück ging alles gut – doch tausende Flüchtlinge überlebten in den Jahren zuvor und danach die Passage über das raue Mittelmeer nicht. Das Geschäft der Schlepperbanden florierte dennoch. 

Die RTL-Korrespondentin Nicole Macheroux-Denault ging den Ursachen für die tausendfache Flucht aus Afrika auf den Grund. Sie berichtete aus Bürgerkriegsgebieten, von Stammesfehden, Hungersnöten, korrupten Regierungen und großer Ausweg- und Hoffnungslosigkeit gerade der jungen Generation. „Die jungen Menschen wollen nach Europa“, erzählte sie uns immer wieder, „auch wenn ihre Zukunft dort alles andere als gesichert und eine Aufnahme nicht garantiert ist. Aber lieber in der EU leben mit einer ungewissen Zukunft als ohne Hoffnung in Afrika – das ist das Motto der meisten, die wegwollen.“

Man könnte also sagen: wir waren „vorgewarnt“ im Frühjahr 2015. Und die westlichen Regierungen hätten es auch sein können, oder besser: müssen. Aber wirklich „vorbereitet“ war kaum jemand, trotz der üppig fließenden Informationen, trotz der Mahnungen von Flüchtlingsorganisationen, trotz der ersten größeren Menschenströme durch die Türkei Richtung Griechenland. Stattdessen hatte im Mai, Juni und Juli die Euro-Krise Deutschland und die EU fest in ihrem Griff. Keine Nachrichtensendung verging ohne neue Hiobsbotschaften, wie teuer die Griechenland-Rettung werden würde. Keine Zeitung kam ohne Schlagzeilen aus Athen aus. Die Online-Medien überholten sich gegenseitig im Wettrennen um die aktuellsten, ständig wachsenden Kosten für Rettungspläne. Von Flüchtlingen redete kaum jemand, und auch in den Regierungszentralen in Paris, Berlin und Brüssel lag der Fokus fast ausschließlich auf der Frage: Bleibt Griechenland im Euro, oder gibt es den Grexit? Kaum jemand bemerkte den beginnenden Exodus im Nahen und Mittleren Osten.

Nicht nur wir Journalisten sprechen in diesen Tagen viel über die „Macht der Bilder“. Denn die Bilder sind es, die uns allen seit einigen Wochen vor Augen führen, was wir uns rational kaum vorstellen konnten. Bilder von erschöpften Vätern und Müttern, die mit Kindern auf dem Rücken tage- oder wochenlange Fußmärsche durch die sengende Hitze Südeuropas hinter sich haben und nun mit letzter Kraft die deutschen Aufnahmelager erreichen. Bilder von eilig hochgezogenen Stacheldrahtzäunen in einem Europa, das mit Recht so stolz ist auf seine „Grenzenlosigkeit“. Bilder von Flüchtlingen, die zu Fuß über eine Autobahn Richtung Deutschland wandern, von herzzerreißenden Szenen auf Bahnhöfen, in denen Familien wartende Züge stürmen, von denen niemand weiß, wann und wohin sie fahren.

Wir müssen diese Bilder zeigen, weil sie uns alle angehen, weil sie in uns etwas auslösen und uns bewegen. Auch der ertrunkene syrische Junge Aylan, der vorm Urlauberstrand von Bodrum sein Leben verlor, ist Teil dieses Dramas, vor dem wir nicht die Augen verschließen können. Wir haben in unseren Redaktionen intensiv darüber diskutiert, ob man dem Tod einen so drastischen Zugang in unsere Wohnzimmer ermöglichen darf. Und wir haben entschieden: ja. Dieses Bild ist ein Weckruf. Wir zeigen es, aber mit Abstand, und ohne dem leblosen Körper seine Würde zu nehmen. Wir wissen, dass man auch anders entscheiden kann, und es gibt Medien in Deutschland, die anders entschieden haben. Wahrscheinlich wird kein anderes Bild so zur Ikonographie des Flüchtlingsdramas beitragen – und vermutlich hat dieses Bild bewirkt, dass die Aufnahmebereitschaft der Menschen in Deutschland so viel grenzenloser ist, als wir es uns je hätten vorstellen können.

Auch deshalb hat die Mediengruppe RTL einen ganzen Thementag den Flüchtlingen gewidmet, „RTL Aktuell“ und N-TV haben ihr Programm aus einem Erstaufnahmelager im Saarland gesendet. In den kommenden Wochen und Monaten wird der Flüchtlingsstrom nicht abreißen, und wir werden unsere Berichterstattung nicht einschränken. Denn die wahren Herausforderungen beginnen erst jetzt für uns in Deutschland. Integration wird zu einer gesamtgesellschaftlichen Thematik, der sich kaum jemand entziehen kann, und auch nicht entziehen sollte. Wir Journalisten, und die Medien allgemein stehen in der Verantwortung, die vor uns liegenden Aufgaben zu identifizieren. Die Gastfreundschaft und Willkommenskultur, die in deutschen Bahnhöfen tausendfach zu beobachten war, ist ein Indiz für den Willen der Bevölkerung, sich dieser Aufgabe zu stellen.

Wir alle freuen uns über die positiven Kommentare aus aller Welt – Deutschland wird als wohlhabendes Land wahrgenommen, das bereit ist zu teilen. Aber wir müssen auch versuchen, dieses Hochgefühl unserer Hilfsbereitschaft für die Zukunft zu konservieren und in tatkräftige Integrationsbemühungen umzusetzen. Dies betrifft uns alle: Politiker, Unternehmer, Kollegen, Mitschüler, Nachbarn und Freunde. Wir Journalisten werden darüber berichten, ob und wie Deutschland eine Herausforderung bewältigt, die in der Geschichte einzigartig ist. Unser Land wird sein Gesicht verändern – aber Veränderungen und Wandel gibt es bei uns schon seit Hunderten von Jahren. Das 21. Jahrhundert ist kein Zeitalter des Stillstands. Die Menschen, die hier Zuflucht suchen, setzen etwas in unseren Köpfen und in unseren Herzen in Bewegung. Und wir alle haben es in der Hand, in welche Richtung wir uns bewegen – gemeinsam, mutig, optimistisch.

Am 31. August beleuchteten RTL, N-TV, Vox und RTL 2 die Situation der Flüchtlinge mit einem kompletten Thementag und starteten über die Stiftung RTL – Wir helfen Kindern eine Spendenkampagne, die bislang 70.000 Euro eingebracht hat. Wer spenden möchte, kann dies über folgende Bankverbindung tun: 

Empfänger:   Stiftung RTL – Wir helfen Kindern
IBAN:             DE55 370 605 905 605 605 605
Bank:             Sparda-Bank West
BIC:               GENODED1SPK
Stichwort:      Flüchtlinge (benet)