Gütersloh, 25.10.2016

"Verantwortlich handeln heißt: Emissionen senken!"

Christoph Kucklick

Themenbereich: Umwelt
Kategorie: Projekt

Ökonomie und Ökologie – passt das zusammen? Ja, sagt "GEO"-Chefredakteur Christoph Kucklick. Auch wenn es schwierig ist, die Natur in wirtschaftlichen Rechnungen zu kalkulieren.

Ökonomen und Ökologen haben etwas gemeinsam: Sie lieben die Nicht-Verschwendung – die Effizienz. Ökologisch betrachtet ist das nichts anderes als angewandter Respekt für unsere Erde und Vorfreude auf eine gute Zukunft. Es ist also ein Mythos, dass sich die Vernunft der Wirtschaft und die der Natur spinnefeind wären. Ein Unternehmer, der weniger Bäume für ein Produkt fällt, freut sich ebenso wie der Wald, dem die Bäume nicht abhanden kommen (wofür wir dem Wald ein Bewusstsein unterstellen, das er – nach neuesten Forschungen – womöglich besitzt).

Dennoch kommen die beiden, die Produktion der Wirtschaft und die Re-Produktion der Natur, nur schwer zusammen. Wie mühsam, das hat "GEO" vor Jahren erfahren. Damals, in den Vorzeiten von ökologischem Controlling und Klimabilanzen, haben wir als wohl erste Zeitschrift versucht, unseren ökologischen Fußabdruck zu ermitteln. Wie viele Bäume werden für unsere Hefte gefällt; wie viel Energie verbraucht die Papierherstellung und welche Schadstoffe fallen dabei an; haben die Druckfarben versteckte Ökolasten; wie viel CO2 erzeugen die Lastwagen auf dem Weg zu den Kiosken – und wie viel die Redakteure auf ihren Recherchereisen?

Ein Team stürzte sich in die Aufgabe, durchaus mit dem Ehrgeiz, Unternehmen mit geringerem Ökoengagement vorzumachen, wie eine solche Rechnung zu meistern sei. Es vergingen Monate. Immer tiefer arbeiteten sich die Kollegen in die petrochemischen Details der Farbherstellung, ins Schadstoffverhalten unterschiedlicher Lkw- Typen, in die Eigenarten der finnischen Waldbewirtschaftung.

Irgendwann wurde deutlich, dass sich ein klares Ergebnis nicht würde finden lassen. Zu viele Faktoren spielten in die Rechnung, zu viele Unwägbarkeiten. Die CO2-Last einer Kiosklieferung etwa hing letztendlich auch an der Vergasereinstellung jedes einzelnen Lkw – wie will man die exakt erfassen, ohne allmorgendlich unter die Motorhaube zu schauen?

Die Lösung damals war, zumindest die vergleichsweise leicht zu ermessenden Belastungen zu kompensieren, nämlich alle Recherchereisen bei Gruner + Jahr. Der Verein "GEO schützt den Regenwald" hat seither in Nepal ein Gebiet aufgeforstet, 300.000 Bäume mehr stehen nun auf dem Planeten. Solche Ausgleichsmaßnahmen sind beliebt, aber sie können Schäden nur kompensieren, nicht vermeiden; und sie können nicht über die grundlegende Schwierigkeit aller Versuche hinwegtäuschen, die Natur in unsere Berechnungen einzubinden.

Die liegt nicht in mangelndem Willen von Unternehmen. Auch nicht in fehlendem Wissen. Sie liegt darin, dass Ökonomie und Ökologie in unterschiedlichen Sprachen sprechen. Die Wirtschaft hat einen besonders genialen Wortschatz entwickelt, um ihre Dynamik mitzuteilen, man nennt ihn: Preise. Sie sind eindeutig, für alle gleich und kommunizieren Veränderungen verzögerungslos. Nichts dergleichen besitzt die Natur. Sie redet in versteckten Effekten, in Langzeitstörungen und in unübersichtlichen Folgen: Flächenbedarf, Treibhausgase, Giftstoffe, Rohstoffverbrauch und vieles mehr lässt sich, trotz aller Versuche, nicht zu einer einzigen handlichen Kennzahl verrechnen, die es mit der Informationskraft von Preisen aufnehmen könnte. Daran also wird sich nichts ändern: Die Effizienz der Information ist in der Ökonomie größer als in der Ökologie.

Daher müssen wir Menschen Übersetzer zwischen den Sphären sein, im eigenen Interesse. Die Komplexität der Natur muss der Einfachheit der Preise angenähert werden. Zum Glück gelingt dies immer besser. Die Ökobilanzen sind nun stärker standardisiert als in jenen Tagen, als "GEO" sich daran gewagt hat. Es gibt deutlich mehr Schadstoffberechnungen, auf die man sich stützen kann, und die dramatisch rasch steigende Zahl digitaler Sensoren hilft, Belastungen in Echtzeit zu vermessen. Der Aufwand für ökologisches Controlling bleibt gleichwohl hoch.

Zudem steckt so gut wie jede Erhebung voller Überraschungen und verwirrt nicht selten den Menschenverstand. Ein Lebensmittelhersteller wollte herausfinden, welche CO2-Wolke jede Packung "Nudeln in Wildlachs" begleitet. Die Effizienz-Ingenieure untersuchten die Schiffe, die zum Fang aufbrechen, sie vermaßen die Tiefkühllager, sie berechneten die Energie der Aufzuchtstationen. Nur um festzustellen, dass der gravierendste Übeltäter die Sahne aus der heimischen Molkerei war, in die sich der Fisch legt. Ähnliches stellt man bei Äpfeln aus der Region fest, die nach einem halben Jahr im Kühlhaus ökologisch fragwürdiger sind als die frisch von der Südhalbkugel eingeflogenen Früchte.

Bei all diesen Untersuchungen wird offensichtlich: Ökoeffizienz-Steigerung ist ein kleinteiliges Geschäft, es muss an vielen Stellen und auf vielen Wegen stattfinden. Diese Mikro-Begrünung macht das Anliegen nicht weniger wichtig, nur weniger glamourös. Beharrlichkeit im Detail ist die vermutlich wichtigste Tugend der praktischen Weltrettung. Eine gesamte Lieferkette auf Nachhaltigkeit zu trimmen etwa bedeutet, an Tausenden Stellen Hand anzulegen, von der Wärmeerzeugung und -dämmung in Auslieferlagern über LED-Leuchten bis hin zur Reduzierung der Papiermengen von Rechnungen.

Auf Kritik stößt sie dennoch, diese Effizienz-Revolution der vielen kleinen Schritte. Mehr mit weniger zu machen, das sei ja wunderbar, heißt es – aber wenn das Mehr immer größer wird, dann verblasst jedes Weniger. Flugzeugmotoren verbrauchen heute 70 Prozent weniger Kerosin als vor 40 Jahren, in diesem Zeitraum stieg jedoch auch der globale Luftverkehr um 70 Prozent. Es gibt heute weniger Kühe in den USA als in den 1950er Jahren, aber sie produzieren mehr als doppelt so viel Fleisch, samt aller Belastungen, die damit einhergehen. Andererseits gibt es auch gute Botschaften: Erstmals seit rund zwei Jahrhunderten ist es der Weltwirtschaft in den vergangenen beiden Jahren gelungen zu wachsen, ohne im gleichen Maße den CO2-Ausstoß zu erhöhen. Decoupling heißt die Hoffnung, den Wohlstand der Welt weiterhin zu mehren, ohne dafür dauerhaft die Ressourcen von 1,5 Erden zu vertilgen wie noch derzeit.

An solche Silberstreifen schließt sich der Versuch an, nicht nur weniger zu verwenden, sondern auch anderes: nämlich ausschließlich Stoffe, die sich wiederverwerten lassen. Das Cradle-to-cradle-Prinzip, die Idee, dass die Bestandteile eines Produktes, nachdem es nicht mehr gebraucht wird, wieder zum Ausgangsstoff eines neuen Produktes werden, setzt auf vollständige Recyclefähigkeit und restlose Kompostierbarkeit. Noch ist die Zahl solcher ökologisch entschärften Waren sehr überschaubar. Aber die Idee, statt effizient weniger vom Schädlichen, lieber verschwenderisch viel vom Richtigen zu machen, gewinnt an Zuspruch.

Eine weitere Hoffnung auf Dematerialisierung weckt die Digitalisierung. Die Effizienzgewinne digitaler Technologien sind zuweilen spektakulär. Prozesse, die früher Tage benötigten, laufen nun in Minuten; digitale precision agriculture sorgt auf unseren Feldern etwa für eine nach Quadratzentimetern optimierte Düngung; und Fehler in der Industrieproduktion werden minimiert. Sogar Onlineshoppen trägt, wider alle Vorurteile, zur Entmaterialisierung bei: Ein T-Shirt, das per Paketdienst nach Hause kommt, erzeugt 35 Prozent weniger CO2 als jenes, das man im Laden kauft. Der Grund ist einfach und hat, wie meist bei diesen Dingen, mit unserer Mobilität zu tun: Die meisten Käufer fahren per Auto zum Laden und belasten so die Atmosphäre weit mehr als es ein einzelner Paketdienstfahrer tut.

Fortgeschrittene Technologien können allerdings auch widersinnige Effekte zeitigen: Japaner mit Hybrid-Auto fahren 1,6-mal mehr Kilometer als zuvor im konventionellen Auto und zerstören so den positiven Umwelteffekt ihrer Anschaffung. Offensichtlich verzeiht ihr reineres Ökogewissen ihnen häufigere Fahrten. Auch hier wieder: Aus einem Weniger "vom Schlechten" wird rasch ein Mehr vom noch lange nicht Richtigen.

Respekt für unseren Heimatplaneten muss also auf mehr beruhen als auf bloßer Effizienz. Es muss auch ein Bewusstsein für das eigene Verhalten beinhalten. Das ist vielleicht der schwerste Teil der praktischen Weltrettung: wachsam sein gegen sich selbst.

Christoph Kucklick ist Chefredakteur von "GEO". Das Reportagemagazin erscheint seit 1976 im Bertelsmann-Verlag Gruner + Jahr und erzählt in jeder Ausgabe auch Geschichten zum Thema Ökologie.

Mehr zum Thema Ökoeffizienz sowie zu weiteren Corporate Responsibility-Themen lesen Sie im Magazin "24/7 Responsibility"  .