Penguin Random House | München, 06.11.2017

Barrierefreiheit am Arbeitsplatz – als Praktikant bei Goldmann

Rechts die Tastatur, links die „Braille-Zeile“ – Alexander Karl an seinem Arbeitsplatz bei Goldmann

Themenbereich: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Land: Deutschland
Kategorie: Projekt

Alexander Karl ist blind – und machte trotzdem ein sechswöchiges Praktikum in der Pressestelle des Goldmann-Verlags. Eine besondere Erfahrung für ihn wie auch für die Mitarbeiter im Verlag.

„Zwischen den parkenden Autos durch, danach eine Zeit lang einfach so gut wie möglich geradeaus. Irgendwann erstreckt sich über den ganzen Weg ein grobes Kopfsteinpflaster – ab jetzt wieder etwas aufmerksamer, näher an der Wand gehen. Nach ein paar Häusern ragen erst ein paar Zweige in Kopfhöhe weit in den Gehweg, dahinter stehen Motorräder. Und wenn ich jetzt aufmerksam mit dem Stock weiterpendle, bemerke ich erst eine schmale, dann eine deutlich breitere Regenrinne – voilà, hier geht’s rein!“ Wenn Alexander Karl seinen täglichen Weg zur Arbeit in die Neumarkter Straße 28 beschreibt, klingt das ein wenig anders als bei seinen Münchner Kollegen der Verlagsgruppe Random House. Wann der Weg in ein Kopfsteinpflaster übergeht und wie breit die Regenrinne am Straßenrand ist – das nehmen die meisten vermutlich gar nicht bewusst wahr. Für Alexander Karl aber, der von Mitte September bis Ende Oktober ein sechswöchiges Praktikum in der Pressestelle des Goldmann Verlags absolvierte, sind genau diese Details von großer Bedeutung. Denn Alexander Karl ist blind.

„Ein Blinder in einem Buchverlag – wie soll das denn gehen?“

Eine Frage, die sich sicher viele stellen, die von Alexander Karls Geschichte hören. Und eine Frage, über die Claudia Hanssen, Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Goldmann Verlags, und ihr Team gar nicht lange nachdenken mussten. „Als Alexanders Bewerbungsanfrage bei uns eintraf, haben wir vielleicht drei Minuten lang diskutiert und waren uns sofort einig, dass das klappen wird“, erinnert sie sich zurück. Natürlich war ihr und ihren Kolleginnen Susanne Grünbeck, stellvertretende Presseleitung bei Goldmann, und Katrin Cinque, Senior Pressereferentin und Social Media Managerin, dabei bewusst, dass ein blinder Praktikant schon eine Umstellung der eigenen Arbeitsweise und auch einen gewissen Mehraufwand mit sich bringen würde. „Aber wir möchten Menschen eine Chance geben, sich auszuprobieren und waren uns außerdem sicher, dass auch wir aus der neuen Situation noch einiges lernen können“, erklärt Hanssen. „Eine Win-Win-Situation für beide Seiten also“, ergänzt sie.

Das kann Alexander Karl nur bestätigen. Die offene Einstellung seiner Kolleginnen habe ihn von Anfang an sehr beeindruckt, erzählt er. Denn ganz selbstverständlich sei es nicht, dass ein Unternehmen sich zutraue, dem blinden Onlineredakteur eine Praktikumsstelle anzubieten. Alexander Karl war durch die Augenkrankheit Grauer Star zwar bereits von Geburt an schwer sehbehindert, jedoch noch lange Zeit nicht vollständig blind. Während sein rechtes Augen im Kindesalter erblindete, blieb die Sehkraft auf dem linken Auge noch bis Ende 20 erhalten. Doch vor vier Jahren verschlechterte sie sich ganz plötzlich in mehreren Schüben. Den ersten Schub versuchte Alexander Karl noch so gut es ging vor seinem sozialen Umfeld zu verbergen, wollte vor allem seine Mutter nicht beunruhigen. „Den zweiten Schub konnte ich dann aber nicht mehr verheimlichen. Ich bin morgens aufgewacht und habe nichts mehr gesehen“, erzählt er. Natürlich sei das erstmal ein Schock gewesen, „Aber das Leben geht weiter – klingt doof, ist aber so“, erklärt der gebürtige Landshuter, der sich vom Leben nicht so schnell unterkriegen lässt. Und so lernte Alexander Karl rasch mithilfe eines Trainers, sich ohne den Sehsinn im Alltag zurecht zu finden. Heute kann er noch Lichter oder sehr starke Kontraste auf dem linken Auge erkennen, mehr jedoch nicht.

Weiterbildung zum Onlineredakteur

Auf seine berufliche Entwicklung habe sich die Erblindung – trotz aller Schwierigkeiten und Sorgen – tatsächlich positiv ausgewirkt, sagt Alexander Karl heute. Denn seine Ausbildung im Verwaltungsdienst, die er bis dahin absolviert hatte, sei vor allem eine Vernunftentscheidung gewesen, zu der viele Verwandte ihm geraten hätten. So traurig sei er also gar nicht gewesen, als er die Ausbildung aufgrund seiner Erblindung habe abbrechen müssen, verrät Alexander Karl mit einem leichten Schmunzeln. Ein Jahr verbrachte er daraufhin in einer sogenannten „blindentechnischen Grund-Reha“ am Berufsförderungswerk Würzburg, wo er sowohl die Blindenschrift als auch das Arbeiten am PC mit bestimmten Hilfsprogrammen erlernte. „Zum Glück habe ich das Zehnfinger-System – schon bevor ich meine Sehkraft verloren habe – ‚blind‘ beherrscht. Das wäre sonst schwierig geworden“, erzählt er.

Nach Abschluss der Grund-Reha stieß Alexander Karl auf ein Angebot der Journalistenakademie Dr. Hooffacker in München, das sein Interesse weckte und ihm deutlich mehr zusagte als die frühere Ausbildung in der Verwaltung: In einer Kooperation mit der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehindert bietet die Akademie eine Weiterbildung zum Onlineredakteur Crossmedia speziell für Blinde und Sehbehinderte an. In dem sechsmonatigen Kurs lernte Alexander Karl alles, was zu dem Beruf dazugehört: Unter anderem also wie man journalistische Texte schreibt und Pressemitteilungen formuliert, wie man Social-Media-Kanäle strategisch bespielt oder einen Audio-Podcast schneidet. Im Anschluss an den Kurs folgte für Karl dann eine sechsmonatige Praxisphase, die ihn nach einem Praktikum in der Onlineredaktion des Bayerischen Rundfunks schließlich in die Pressestelle des Goldmann Verlags führte.

Barrierefrei am Arbeitsplatz

Während seines Praktikums im Team rund um Claudia Hanssen übernahm Alexander Karl dieselben Aufgaben wie vorherige Praktikanten bei Goldmann auch, dazu gehörten vor allem Pressemailings, Lesekorrekturen oder die Unterstützung des Facebook-Auftritts. „Eine meiner ersten Aufgaben bei Goldmann war das umfangreiche Weihnachtsmailing – es hat großen Spaß gemacht, und ich habe einiges zum Thema Marketing gelernt“, erzählt Alexander Karl. Um am PC arbeiten zu können, war auf seinem Laptop ein sogenanntes Screenreader-Programm installiert, das er aus der Grund-Reha kannte. Das Programm wandelte die Daten, die auf dem Bildschirm angezeigt wurden so um, dass Karl sie „lesen“ konnte – entweder per Sprachausgabe oder über die ebenfalls am Laptop angeschlossene „Braille-Zeile“, auf der Texte in Blindenschrift angezeigt wurden. Der Computermaus zog Alexander Karl Tastatur-Shortcuts vor, mit denen er sich schnell durch die Programme und Anwendungen auf dem PC bewegen konnte.

Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählte das Korrekturlesen. Denn hier sah Alexander Karl durch die Nutzung der Sprachausgabe sogar einen klaren Vorteil für sich: „Weil ich mir die Texte vorlesen lasse, erkenne ich kleine Fehler, die man beim Lesen schnell übersehen kann, sehr gut. Einen Buchstabendreher hört man sofort“, erklärt er. Für die Facebook-Seite verfasste Alexander Karl außerdem eine blogähnliche Serie, in der er über seine Erfahrungen als blinder Praktikant im Goldmann Verlag  berichtete.

„Da wird sich ein ‚Normalo‘ keine Sorgen machen müssen“

Sowohl für Alexander Karl als auch für Claudia Hanssen, Katrin Cinque und Susanne Grünbeck vom Goldmann Verlag war dieses außergewöhnliche Praktikum eine durchweg positive Erfahrung. „Wir haben durch Alexander einen ganz neuen Blick auf unsere Umwelt gewonnen. Mich hat vor allem sehr beeindruckt, wie sicher er sich nicht nur im Gebäude, sondern auch draußen auf der Straße, in einer sich ständig verändernden Umgebung, bewegt“, schildert Claudia Hanssen.

„Insgesamt kann ich das Unternehmen nur in höchsten Tönen dafür loben, wie gut geplant und professionell dieses Praktikum von Anfang an abgelaufen ist. Wenn das bei so einem ‚Sonderfall‘ wie mir schon so läuft, wird ein ‚Normalo‘ sich keinerlei Sorgen machen müssen“, schreibt Alexander Karl in seiner Facebook-Reihe. Zum Abschied durfte er sich über eine extragroße Ladung Hörbücher freuen, denn auch als Blinder ist er nach wie vor ein großer Buchfan. Aus dem Praktikum gäbe es eigentlich nur eine Sache, die er nicht vermissen würde, schreibt er in dem Beitrag über seinen letzten Arbeitstag: Die Drehtür am Eingang des Gebäudes. „Treppen, Zugtüren, pah, alles Kinderfasching, aber Drehtüren sind der Feind!“

Bevor es für ihn nun ans Bewerbungen schreiben geht, möchte er sich erstmal ein wenig Zeit für sich nehmen. Die vergangenen Monate in der Ausbildung und den Praktika seien auch anstrengend gewesen, erzählt er und hofft natürlich trotzdem, dass es nicht allzu lange dauert, bis er einen Job findet. Aber schließlich ist er doch immer ein Optimist gewesen, und wie viele Abzweigungen er noch nehmen oder Hindernisse überwinden muss, Alexander Karl wird auch ohne seine Sehkraft seinen Weg machen.