News | BMG | Berlin, 25.10.2023

„Zwischen Technologie und Kreativität“

Thomas Coesfeld ist seit etwas mehr als 100 Tagen CEO von BMG. Im Interview spricht er über die Lage des Unternehmens, seine ersten Maßnahmen, das Streaming-Geschäft, den Einsatz von künstlicher Intelligenz und natürlich auch über seine Begegnungen mit Superstars wie Jennifer Lopez.

Seit dem 1. Juli ist Thomas Coesfeld CEO von BMG. Zuvor war er seit 2021 CFO der Bertelsmann-Musiktochter. Im Interview spricht er über die Lage des Unternehmens, seine ersten Maßnahmen, das Streaming-Geschäft, den Einsatz von künstlicher Intelligenz und natürlich auch über seine Begegnungen mit Superstars wie Jennifer Lopez.

Herr Coesfeld, Sie sind jetzt seit etwas mehr als 100 Tagen CEO von BMG. Wie haben Sie die ersten Monate in der neuen Funktion erlebt? Was hat Sie besonders beeindruckt?

Ich bin direkt nach meinem Amtsantritt von unserem Sitz in Berlin aus auf Tour gegangen und habe unsere großen Niederlassungen in London, Nashville, New York und Los Angeles besucht. Für mich war es wichtig, so schnell wie möglich in meiner neuen Funktion all unsere Führungsteams vor Ort zu treffen und mir so ein genaues Bild zu machen. Was mich auf meiner ersten Tour als CEO wirklich fasziniert hat, sind die Motivation und der Drive der Kollegen und Kolleginnen. Es ist inspirierend zu sehen, wie sehr alle motiviert sind, BMG weiterzuentwickeln und dieses großartige Unternehmen und die Branche insgesamt nach vorne zu bringen.

Was waren Ihre ersten Arbeitsschwerpunkte als neuer BMG-CEO? Wo setzen Sie Ihre Akzente?

Wir haben ja schon vor einigen Wochen verkündet, dass wir unsere digitale Distribution künftig selbst in Hand nehmen. Das ist für BMG ein Meilenstein, der das Streaming-Geschäft absolut in den Fokus unseres Handelns stellt. Der gesamte Bereich der digitalen Distribution steht bei BMG für rund 300 Millionen Euro Umsatz jährlich. Wir schließen nun Direktverträge mit den großen Streamingdiensten wie Spotify und Apple Music ab und erhalten so Zugang zu immens wertvollen Streaming- und Trending-Daten. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass wir künftig Streaming-Tantiemen deutlich schneller an unsere Künstlerinnen und Künstler werden auszahlen können, und zwar bis zu vier Monate schneller.

Apropos Vertrieb. Die Schallplatte erlebt seit Jahren eine Renaissance. Wie wichtig ist Vinyl für BMG?

Die Schallplatte ist viel mehr als ein Tonträger, Vinyl ist ja auch ein wichtiger Fanartikel und vor allem ein Statement. Ein Statement, dass Musik wichtig ist, dass man ein Fan ist von Mötley Crüe, Kylie Minogue oder den Rolling Stones. Insgesamt machen physische Tonträger noch etwa zehn Prozent unseres Umsatzes aus, und bereits 2021 hat die Schallplatte die CD beim Umsatz überholt. Doch viele unserer Künstlerinnen und Künstler wollen ihre Musik auch auf Vinyl veröffentlichen. Dabei arbeiten wir übrigens immer wieder mit der Konzernschwester Sonopress zusammen, die ja neben CDs auch Schallplatten für uns fertigt.

Was ist überhaupt das Besondere an BMG?

Wir sind als einziges Musikunternehmen außerhalb der drei großen Majors Universal, Sony und Warner wirklich weltweit aktiv. Doch anders als die Majors haben wir keine separate Labelstruktur, bei der die einzelnen Labels unabhängig voneinander arbeiten. Das heißt, dass wir bei BMG unsere ganze globale Power mobilisieren und uns auf große Veröffentlichungen wie jüngst bei „Tension“, dem neuen Album von Kylie Minogue, konzentrieren können. Dieses Nicht-in-Labels-Denken macht uns wirklich stark und ermöglicht es uns, im Recorded-Bereich einen besonderen Service für die Künstlerinnen und Künstler anzubieten.

… und beim Publishing-Geschäft?

Im Publishing, also der Verwaltung von Songrechten, die rund 60 Prozent des BMG-Umsatzes ausmacht, ist es die technologische Ausrichtung, die uns besonders macht. BMG hat von Anfang an alle Musikverlage, die gekauft wurden, technisch voll integriert. Das heißt, es gibt nur ein einziges System für die Abrechnung der Tantiemen. Das ist nach unserer Kenntnis immer noch einmalig auf dem Musikmarkt und ermöglicht uns enorme Vorteile bei den Kosten und bei der Geschwindigkeit der Abrechnung und Ausschüttung der Tantiemen an die Autorinnen und Autoren. Diese Komplettintegration ist ein gewaltiger Vorteil, der sich nicht so leicht von anderen Firmen kopieren lässt.

Und wie steht BMG aktuell da?

BMG steht gut da, wir sind im ersten Halbjahr 2023 um 11,5 Prozent gewachsen. Das Unternehmen steht auf einer absolut soliden Basis, aber der Markt verändert sich jetzt gerade. Wir haben eine zehn Jahre andauernde Phase starken Wachstums mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten erlebt. Nun wird der Markt schwieriger. Der Musikmarkt ist heute deutlich technologisch orientierter als vor zehn Jahren, es gibt andere neue Plattformen, die relevant werden. Spotify, Apple Music und Youtube kennen wir, nun werden Plattformen wie Tiktok und Instagram immer wichtiger, in deren Zentrum „Short Form“-Inhalte stehen. Features wie „Instagram Reels“ und „Youtube Shorts“ – Tiktok sowieso – haben zur Folge, dass sich der Konsum von Musik verändert, das hat eine neue Qualität.

Was sehen Sie als CEO als Ihre wichtigste Aufgabe an?

Grundsätzlich sehe ich als meine wichtigsten Aufgaben die Themen „Strategie“, „People“ und „Kultur“ an. Das sind für mich die Kernelemente meiner Arbeit als CEO. Dazu kommt die Arbeit mit den großen Plattformen wie Spotify, Youtube, Apple und Google. Das sind ja genau die Plattformen, mit denen wir jetzt arbeiten, mit denen wir gerade Lizenzverträge über den Einsatz unserer Musik abschließen. Bei der Strategie ist ein wesentlicher Schritt das Prinzip „Streaming First“. Dazu setzen wir unsere Akquisitionsstrategie fort, wir überlegen, wie wir Künstlerinnen und Künstler am besten unterstützen können und was das für Auswirkungen auf die Ausrichtung von BMG hat – das alles sind für mich wichtige strategische Elemente.

… und die Themen „People“ und „Kultur“?

Es ist bei all den beschriebenen Marktveränderungen wichtig, die richtigen Leute zu haben, die die digitalen Plattformen von Grund auf verstehen. Gute Leute kommen dann in ein Unternehmen, wenn dort eine gute Kultur vorherrscht. Eine gute Unternehmenskultur und gute Leute – das gehört für mich zusammen. Dass BMG über die Grundlagen einer guten Unternehmenskultur verfügt, zeigt die jüngste Mitarbeitendenbefragung. Sie hat ergeben, dass die Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit als sehr sinnstiftend empfinden und viel Spaß an ihrer Arbeit haben – das finde ich sehr gut. Aber es gibt noch viel mehr zu tun.

Alle reden über künstliche Intelligenz. Wo steht BMG auf diesem Gebiet?

Wir arbeiten bei BMG schon lange mit künstlicher Intelligenz, vor allem in unseren Geschäftsbereichen Production Music und Synch. Hier nutzen wir KI, um Songs zu analysieren und zu beschreiben, damit wir den Kund:innen entsprechend passende Vorschläge machen können. Mit dem Aufkommen von generativer KI, also künstlicher Intelligenz, die eigenständig Inhalte wie Texte, Musik oder Bilder schaffen kann, ergeben sich nun ganz neue Möglichkeiten. Hier kann ich mir gut vorstellen, dass wir bei der Entwicklung eines 20-Sekunden-Clips zu einem neuen Release, der dann beispielsweise auf Tiktok veröffentlicht wird, generative KI nutzen, um Marketing-Assets wie Grafiken, Bilder oder kurze Videos zu erstellen. Der noch spannendere Prozess ist aber der ganze Bereich der qualitativen Verbesserung bereits bestehender Musik mittels generativer KI. Hier sind wesentliche neue Möglichkeiten vorstellbar, Musik zu kreieren, zu verbessern und zu vermarkten. Ich sehe das in Summe als Riesenchance. Natürlich stellt generative KI die Definition des Urheberrechts vor große Herausforderungen. Ich bin aber sehr optimistisch, dass die Industrie Lösungen finden wird, beispielsweise durch „Digital Watermarking“, also eine Art digitales Wasserzeichen für Songs. BMG hat sich verpflichtet, gemeinsam mit der Musikindustrie Lösungen für diese Probleme zu erarbeiten.

Für Musikrechte wurden in den vergangenen Jahren teils gewaltige Summen gezahlt. Wie stellt sich der Markt aktuell dar, und welche Chancen sehen Sie hier für BMG?

BMG hat als Investor eine einzigartige Position, da wir ein Musikunternehmen sind. Wir kennen das Musikgeschäft und wissen, wie man Musik am besten monetarisiert. Für dieses Geschäft ist vor allem die Marktkenntnis relevant, und die haben manche Fonds nicht, die allein auf die Finanzkennzahlen schauen. Für einige Fonds wird dies eine harte Lektion sein, aber wir gehen davon aus, dass wir dadurch möglicherweise einige hochwertige Vermögenswerte wieder auf den Markt bringen können.

BMG arbeitet mit berühmten Künstlern wie Mick Jagger und Kylie Minogue zusammen. Wie viel persönlichen Kontakt haben Sie zu diesen Superstars? Wollen sie alle den neuen Chef „ihres“ Labels treffen?

Das ist sehr individuell. Viele der Künstlerinnen und Künstler wollen tatsächlich wissen, wer denn der Neue an der Spitze von BMG ist, gerade weil das Musikgeschäft oft ein so persönliches Geschäft ist. Eine besonders eindrucksvolle Begegnung war für mich das Treffen mit Jennifer Lopez, die ja gerade erst eine weltweite Label- und Verlagspartnerschaft mit BMG unterschrieben hat. Wir waren im Juni bei ihr zuhause, um das neue Album anzuhören, das über BMG veröffentlicht werden wird. Das war ein sehr persönliches Erlebnis, und sie hat uns die Motivation hinter jedem ihrer neuen Songs erklärt. Unsere Künstler:innen sind sehr unterschiedlich, aber viele haben ein Anliegen, sie wollen etwas bewirken mit ihrer Musik. Das ist so bei den Stones, aber auch bei JLo, Kylie Minogue oder unserem jungen Countrystar Jelly Roll.

Und was sind Ihre nächsten Schritte?

Wir haben gerade erst ein Management Meeting mit rund 50 BMG-Führungskräften in Berlin abgehalten, bei dem es um die Lage und die künftige Strategie des Unternehmens ging. Wir werden also, auch angesichts des sich rasant verändernden Marktumfelds, unsere Prozesse und Geschäftsfelder überprüfen und wo nötig nachjustieren. Daneben werden wir Ausschau nach weiteren Akquisitionsmöglichkeiten halten. Dank des „Boost“-Programms von Bertelsmann sind die Mittel hierfür vorhanden. Wir bewegen uns in unserem Geschäft in einem Spannungsfeld zwischen Technologie und Kreativität. Das ist ein begeisterndes Umfeld.