News | Gütersloh / São Paolo, 28.05.2014

„Tudo bem“ – alles gut für Bertelsmann in Brasilien

Thomas Mackenbrock, Chef des Corporate Center in Brasilien, über zwei Jahre Aufbauarbeit in São Paolo

Thomas Mackenbrock

Vor über zwei Jahren ist Thomas Mackenbrock ausgewandert. Von Gütersloh nach São Paolo. Aus der Kleinstadt in die größte Wirtschaftsmetropole der südlichen Halbkugel. Dort hat er das neue Bertelsmann Corporate Center für Brasilien aufgebaut, im Herzen des strategischen Wachstumsmarkts Lateinamerika. Aus dem Stand. Mit einem kleinen Team. Und mit allen Höhen und Tiefen eines Start-ups, mit ersten gelungenen Transaktionen, aber eben auch mit anfangs stummen Telefon- und stockenden Internet-Leitungen. Doch längst ist Thomas Mackenbrock angekommen in Brasilien: als Vater zweier Kinder, die bereits in Brasilien geboren wurden, der auf erfolgversprechende Investments verweisen kann und der sich in Südamerika sichtlich wohl fühlt und ganz genau weiß, welches die beiden wichtigsten Wörter in Brasilien sind, die zugleich ein ganzes Lebensgefühl widerspiegeln: „tudo bem“ – alles gut. Die Bertelsmann-Redaktion traf Thomas Mackenbrock zum Unternehmergespräch über seine (Aufbau-)Arbeit für Bertelsmann in Brasilien.

Im Juni wird das Corporate Center in São Paolo zwei Jahre alt – wie war für Sie im Rückblick die Anfangs- und Aufbauphase?

Thomas Mackenbrock: Für mich war es eine sehr schöne und zugleich eine sehr spannende Zeit. Beruflich wie persönlich. Meine beiden Kinder sind in Brasilien geboren – und es ist schön zu erleben, wie die Brasilianer mit Kindern umgehen, wie sie sich mit uns freuen. Diese Herzlichkeit ist für uns als Familie die schönste Erfahrung, die wir in Brasilien machen dürfen. Und sie überträgt sich auf das Berufsleben: Nicht selten sind Kinder oder das Gespräch über sie Türöffner für einen geschäftlichen Kontakt oder Impuls. Der überaus offene und herzliche Umgang miteinander im Berufsleben ist sehr bereichernd und war in dieser „brasilianischen“ Form auch neu für mich.

Aber sicher nicht nur das …

Thomas Mackenbrock: Natürlich nicht. Die ganze Aufgabe war ja neu. Auch wenn Bertelsmann seit Jahrzehnten Geschäfte in Brasilien macht, haben wir das Corporate Center ganz neu gestartet. Von der Anmietung geeigneter Räume ganz in der Nähe der Avenida Faria Lima – der finanziellen Lebensader der Stadt, wenn nicht des ganzen Landes – über deren Renovierung und Einrichtung bis hin zu den Telefonanschlüssen und Internet-Leitungen mussten wir alles organisieren. Und das ist in Brasilien nicht gerade ein Kinderspiel: Bei all den Stempeln und Unterschriften, Bescheinigungen und Beglaubigungen, die man für einfachste Vorgänge braucht, lernt man Geduld und Gelassenheit. Die Dinge sind hier wie sie sind, und sie brauchen eben manchmal länger.

Wie klappt denn die Verständigung?

Thomas Mackenbrock: Das Portugiesische ist eine sehr schöne Sprache und – abgesehen von der Aussprache –  auch keine so schwierige Sprache. Die wichtigsten beiden Wörter sind „tudo bem“ – alles gut. Das sagt man sich stets zur Begrüßung und eigentlich den ganzen Tag über bei jeder Gelegenheit – auch bei uns im Büro. In „tudo bem“ drückt sich das ganze positive Lebensgefühl Brasiliens aus und ist die Antwort auf viele Fragen. Unser Büro gleicht übrigens manchmal einem kleinen Babylon: Neben mir als Deutschem arbeiten im Team drei Brasilianer und ein griechischer US-Amerikaner. Also sprechen wir untereinander einen Mix aus Portugiesisch und Englisch, und wenn ich mit Gütersloh telefoniere, natürlich noch Deutsch.

Kommt das denn oft vor?

Thomas Mackenbrock: Sehr oft. Denn das Gütersloher Corporate Center um Thomas Rabe und Judith Hartmann leistet für uns eine ganz wertvolle Unterstützung. Beispielsweise bei der Bewertung möglicher Investitionen und der rechtlichen oder steuerlichen Beurteilung von Transaktionen ist die Expertise der Kolleginnen und Kollegen für uns von großer Wichtigkeit. Natürlich arbeite ich außerdem eng mit meinem Chef Fernando Carro zusammen, der im GMC auch für die Entwicklungen in Lateinamerika verantwortlich ist. Hinzu kommen ein intensiver Austausch und gemeinsame Projekte mit den Kolleginnen und Kollegen in anderen Bereichen und Abteilungen, zum Beispiel Emerging Markets und New Businesses.

Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Bertelsmann-Geschäften in Brasilien?

Thomas Mackenbrock: Wir pflegen einen konstruktiven Austausch und unterstützen uns bei Bedarf gegenseitig. Schließlich ist Bertelsmann mit vier Unternehmensbereichen in Brasilien vertreten: Die RTL Group ist über Fremantle Media aktiv, das für erfolgreiche und auch hier bekannte Fernsehsendungen wie „Idolos“, „X-Factor“ oder „Mega Senha“ steht. Penguin Random House, das zuvor schon 45 Prozent am renommierten Verlag Companhia das Letras besaß, hat durch die Übernahme der Verlagsgruppe Objetiva von Santillana in Brasilien noch einmal deutlich an Gewicht gewonnen. Gruner + Jahr gibt mit der Motorpresse Zeitschriften über Autos, Motorräder, Trucks und Fitness heraus. Und Arvato schließlich bietet seit mehr als 20 Jahren und mit mehreren hundert Mitarbeitern eine breite Palette von Dienstleistungen an.

Trotz dieser langen Tradition, die ja bereits 1972 mit einem Buchclub begann, sucht Bertelsmann nach neuen Impulsen und Investitionsmöglichkeiten in Brasilien und hat das Land neben China und Indien zu seinem dritten wichtigen Wachstumsmarkt erklärt. Ist Brasilien nach Ihren Erfahrungen vor Ort wirklich ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten?

Thomas Mackenbrock: Brasilien wurde und wird von außen oft überzeichnet. Vor einigen Jahren galt es als Shooting Star, jetzt wurde es quasi über Nacht zur lahmen Ente. Beides ist falsch. Für Brasilien sprechen zunächst einmal die Fakten: die siebtgrößte Volkswirtschaft der Erde, 200 Millionen Einwohner, eine junge Bevölkerung mit einer wachsenden Mittelschicht, eine westlich geprägte Kultur, eine gefestigte Demokratie mit einer freien Presse und einem freien Markt. Das alles ist gepaart mit einer ausgeprägten Digital- und Online-Affinität sowie einem enormen Nachholbedarf gerade in den Bereichen Medien, Bildung und Services. Also ist und bleibt Brasilien für Bertelsmann ein attraktiver Wachstumsmarkt. Aber Brasilien wird auch immer ein volatiler Markt bleiben, mit Schwankungen nach oben wie nach unten. Es ist daher kein Land für einen Sprint, wo man „schnell Geld verdient“ und dann wieder verschwindet, sondern es ist ein Land für einen Marathonlauf und ein langfristiges Engagement. Auch von daher passt Brasilien bestens zu Bertelsmann.

Wie erschließt sich Bertelsmann denn diesen Markt?

Thomas Mackenbrock: Auf der einen Seite setzen die Bereiche ihre individuellen und spezifischen Strategien bei der Expansion nach oder in Brasilien um. Auf der anderen Seite arbeiten wir im Corporate Center fokussiert an den beiden strategischen Schwerpunkten Education und Digital.

Beide bieten beste Aussichten, und sie hängen eng miteinander zusammen. Jeder zweite Brasilianer ist online – das sind schon heute 100 Millionen Menschen. In absoluten Zahlen ist Brasilien das drittgrößte Facebook-Land der Erde und einer der wichtigsten Märkte für Youtube. Die Brasilianer lieben das Internet und sie lieben Videos. Somit wächst die Internet-Verbreitung von Tag zu Tag. Dabei bietet das Internet in diesem riesigen Land den Vorteil kurzer virtueller Wege und schneller Erreichbarkeit. Gerade im Bereich Bildung, etwa beim Online-Lernen via Internet beispielsweise, hat das eine große Tragweite. Bildung ist hier wie in anderen Wachstumsregionen der Schlüssel zu Teilhabe, Wohlstand und Wachstum. Noch hat ein viel zu geringer Teil der Bevölkerung Zugang zu weiterführender Bildung. Nur 13% der 25-34-Jährigen haben in Brasilien einen Hochschulabschluss. In den USA beispielsweise liegt diese Quote bei 43%. Hier besteht also noch ein großer Nachholbedarf. Die Besonderheit in Brasilien ist dabei, dass die Regierung insbesondere auf private Anbieter setzt, diese Lücke zu schließen. Weit über 5 Millionen Studenten, dies sind fast 75% aller Studenten, besuchen private Universitäten.

In einem so großen Markt agiert Bertelsmann bislang mit verhältnismäßig kleinen Investments …

Thomas Mackenbrock: Und das ganz bewusst. Wir sind ja kein Investor, der schnell in Geschäfte einsteigt, um genauso schnell – aber mit möglichst viel Gewinn – wieder aussteigt. Wir wollen vielmehr die Präsenz und das Gewicht von Bertelsmann in diesem riesigen Markt durch den Aufbau eines langfristig attraktiven Portfolios von Unternehmen mit attraktiven Wachstumsaussichten stärken. Ich würde mich freuen, wenn sich die Bedeutung Brasiliens in der Weltwirtschaft künftig auch in der Umsatzverteilung von Bertelsmann angemessener widerspiegelt als heute. Um das zu erreichen, müssen wir die Firmen identifizieren, die diesen Unterschied ermöglichen.

Wobei Sie sich aber durchaus der Arbeitsweise eines Fonds bedienen…?

Thomas Mackenbrock: In der Tat. Wir nutzen als klassischer Corporate Investor auch Fonds, um Zugang zu attraktiven Geschäften zu erhalten, die später einmal interessant für eine Übernahme durch Bertelsmann sein könnten. Wir haben damit den Fuß in der Tür, so dass wir zum geeigneten Zeitpunkt uns auch direkt beteiligen können.

Wie gehen Sie dabei konkret vor?

Thomas Mackenbrock: In drei aufeinander aufbauenden Schritten. Zunächst haben wir durch Beteiligungen an erfolgreichen, etablierten Fonds wie Monashees oder Redpoint eVentures ein Netzwerk in Brasilien geknüpft, um überhaupt mit interessanten Partnern in Kontakt zu kommen. Zweitens haben wir direkt in wachstumsstarke junge Unternehmen im Bereich der digitalen Medien investiert, die in ihrem jeweiligen Segment führend sind. Im dritten Schritt gehen wir engere Kooperationen mit ausgewählten Partnern ein, um uns so den Zugang zu attraktiven Unternehmen zu sichern und um stärker vom langjährigen lokalen Know-How dieser Partner zu profitieren. Bozano Investimentos ist einer dieser Partner, mit dem wir schon seit zwei Jahren eng zusammenarbeiten, weil er sich im Bildungsmarkt des Landes bestens auskennt. Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam den Fonds BR Education Ventures aufgelegt. Sein Schwerpunkt liegt auf Firmen, die technologische Lösungen und Dienstleistungen im Bildungsbereich anbieten. Bertelsmann hält als Ankerinvestor rund 30 Prozent an BR Education Ventures, und damit haben wir bereits zwei Investitionen in attraktive digitale Bildungsgeschäfte getätigt. Wir merken schon jetzt, dass diese Partnerschaft und dieser Ansatz sehr gut funktionieren. Ich bin überzeugt, dass wir in dieser Weise bald auch größere Projekte stemmen werden.

Können Sie bereits verraten, welche nächsten Projekte anstehen?

Thomas Mackenbrock: Seit einigen Monaten arbeiten wir sehr intensiv an dem Aufbau einer neuen Investitionsplattform: Zusammen mit einem Partner möchten wir einen führenden Bildungsanbieter im Bereich Gesundheit und Medizin in Brasilien aufbauen. Angesichts der unzureichenden Abdeckung mit medizinischen Fachkräften in vielen Regionen Brasiliens sehen wir in diesem Segment Wachstumschancen. Außerdem beschäftigen wir uns derzeit mit dem brasilianischen Markt für E-Learning und Corporate Training. Ich möchte noch nichts ankündigen, aber wir blicken optimistisch auf die nächsten Monate.

Wenn Sie die bisherigen Investments von Bertelsmann in Brasilien betrachten, wie haben sie sich in den ersten beiden Jahren entwickelt?

Thomas Mackenbrock: Die Beteiligungen, die wir seit der Gründung des Corporate Center eingegangen sind, haben sich bislang sehr erfreulich entwickelt. Durch unsere Investitionen in die Fonds sind wir indirekt an 30 attraktiven Startups in Brasilien beteiligt. Die beiden Firmen, in die wir direkt investiert haben, wachsen zweistellig und erreichen schon heute mit ihren Dienstleistungen acht Millionen Brasilianer im Monat. Auch unsere beiden letzten Investitionen mit dem Education Ventures Fund sind operativ sehr gut unterwegs.

Und wohin soll die weitere Reise gehen?

Thomas Mackenbrock: Brasilien hat faszinierende Perspektiven für Bertelsmann. Wir gehen Schritt für Schritt vor. In den kommenden Jahren möchten wir die Rolle von Bertelsmann in Brasilien durch neue Beteiligungen an attraktiven Firmen weiter stärken. Dabei denken wir insbesondere an direkte Investitionen in größere Plattformen und haben auch schon einige Vorhaben in Vorbereitung. Wir werden aber nicht überhastet vorgehen, keine überhöhten Preise zahlen und auch weiterhin unsere Investitionskriterien strikt anwenden. Aber eins sollten wir nicht vergessen: wir sitzen in der Stadt, die das wirtschaftliche Kraftzentrum nicht nur Brasiliens, sondern der ganzen Region ist: São Paolo. In Lateinamerika insgesamt leben 500 Millionen Menschen, und der ganze Kontinent befindet sich im Aufbruch. In den nächsten Monaten konzentrieren wir uns aber auf die spannenden laufenden Projekte, die in Brasilien anstehen.

In wenigen Wochen wird Brasilien jedoch erst einmal in den Ausnahmezustand treten und Weltmeister im eigenen Land werden …

Thomas Mackenbrock: … davon sind zumindest die Brasilianer überzeugt. Wo immer ich auf die Fußball-Weltmeisterschaft angesprochen werde, und das ist jetzt schon fast täglich der Fall, lautet der Tipp für das Endspiel Brasilien gegen Deutschland. Dann klopfen sie mir auf die Schulter mit einem Lachen, das einfach nur sagen will, dass der Sieger dieses Finales auch schon feststeht….